• S.

    PROF. DR. FREUD
    WIEN, IX. BERGGASSE 19.

    12. Okt 13

    Lieber Freund

    Ich hätte beinahe Lust es mit Ihnen 
    so zu machen wie andere Respektsper-
    sonen pflegen, dh nachdem sich die Angst 
    als unbegründet herausgestellt hat, zu 
    schimpfen, daß man sie in diese Angst 
    gebracht hat. Aber die Sache ist noch nicht 
    ganz geklärt; Ihr Briefton ist noch 
    etwas trocken, der Motivenbericht 
    Ihres langen Schweigens nicht ganz er-
    schöpfend. Sollte Rank doch Recht haben, 
    der mir unlängst gestand, daß er fürchte, 
    Sie durch einen gewißen auf die Redaktion 
    bezüglichen Vorschlag verstim̄t zu haben 
    u der auch dem anderen, uns gemeinsamen 
    Vorschlag inbetreff der Unterbringung 
    Ihrer Arbeiten einen gewißen Einfluß 
    zuschreiben wollte? Ich habe ihm versichert, 
    daß Ihre Empfindlichkeit kein Faktor 
    in unserer Rechnung ist. Ihnen brauche 
    ich auch nicht zu versichern, daß Rank 
    ganz arglos ist u nicht die Ahnung 
    einer bösen Absicht kennt. 

    Ihre Nachrichten haben mich alle 
    interessirt, nicht alle freuen können. 

  • S.

    Zwar, daß Sie jetzt so wenig zu thun haben, 
    macht mir keine Sorge. Das ist höchst epi-
    sodisch. Die Notwendigkeit, sich um Uni-
    versitätsprotektion zu bewerben – ich erinnere 
    mich – ist minder gleichgiltig, aber es ist vielleicht 
    wirklich der Mühe wert, wenn man 
    ohne zu große Konzeßionen an das Ge-
    sindel etwas erreichen kann. Ich mußte 
    es ja auch thun, u wenngleich ich noch 
    jetzt bei der Erinnerung mit den 
    Zähnen knirsche, muß ich mit dem Erfolg 
    doch sehr zufrieden sein.

    Ihrem egyptischen Gewährsmann glaube 
    ich nicht recht. Denken Sie, wie es im Sept 
    in Sizilien war! Es wäre freilich sehr 
    schön u soll im Auge behalten werden, 
    dh wenn Sie meine Gesundheit nicht schreckt.

    Ich bin allerdings bereit die Trink-
    kuren aufzugeben, denen ich doch etwas 
    verdanke, eine völlig normale Darm-
    funktion, jetzt seit 3 Monaten ungestört. 
    Einen ersten Schritt zur Schonung habe ich 
    eben gethan, die Stunde von 8‑9 früh 
    aufgegeben, dh den entsprechenden Pat. 
    ohne Ersatz weggeschickt. Der Verlust ist 
    bereits jetzt durch Erhöhung des 
    Honorars für die Behandlungsstunden 
    ausgeglichen.

  • S.

    Wenn Sie am Sonntag nach 
    Wien kommen, werde ich 
    den Narzissm hervorsuchen. 
    Ich habe ihn liegen lassen, 
    erstens um Distanz zu gewinnen, 
    zweitens weil ich mich an die 
    Trdeutung machen muß, für 
    die ich jeden Freitag abend 
    mit Rank zusam̄enkom̄e. 
    Den dritten Band der Kl. 
    Schriften werden Sie heute 
    bekommen haben. (Er hat 
    mir fast ohne Arbeit K 1420 [
    getragen.)

    Zu Ihrem dritten Band 
    gratulire ich Ihnen herzlich.

    Frau G. thut unrecht, mich 
    in der Ordination zu 
    besuchen. Wärs nicht schöner, 

  • S.

    wenn sie mir oder uns einen 
    Abend schenken würde?

    Ich grüße Sie herzlich 
    u erwarte Ihre Nachricht 
    vor dem Sonntag, an d
    em ich Sie erwarten soll. 
    Ihr 
    Freud