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S.
9 Dez 12
Prof. Dr. Freud Wien, IX. Berggasse 19.
Lieber Freund
Hab mir schon gedacht, daß Sie krank sind, als Ihre Briefe aussetzten. An Ihre Lues glaube ich nun keinen Moment, Ihren Cheyne‑Stokes hätte ich hier bald richtig diagnostiziert. Ein hypochondrischer Zug ist in der Krankengeschichte unverkennbar. Ich bin egoistisch genug, Ihnen gerade jetzt schleunige Genesung zu wünschen.
Ich riet, Ihren Aufsatz zurückzustellen, nachdem Sie mir die Entscheidung übertragen hatten, weil sich Federn sonst beleidigt [gefühlt] hätte, während Sie als Redakteur es nicht dürfen. Im zweiten Heft sollten Sie mit einer kritischen Studie über Jungs Libido plastisch hervortreten.
Jung hat die Sache mit Bergmann gut geordnet. Wir zahlen 652 Mk Entschädigung und sind ihn ledig. Heute erhielt ich von B[ergmann] die Bestätigung, daß das Zentralblatt von nun an (Januar) den Titel eines offiziellen Organs der I[nternationalen] V[ereinigung] nicht mehr führen wird. Die Summe zahlt zur Hälfte der Vereinsfonds, zur anderen ich. Ich will nicht, daß die Mitglieder irgendwie belästigt werden. Das ist mir 300 Mk wert.
Sonst ist Jung meschugge, seine Briefe schwanken zwischen Zärtlichkeit und hochmütiger Überhebung, und alle Berichte (Jones, Brill) zeigen, daß er seine kleinen Irrtümer für große Entdeckungen hält.
Abraham wird am 20. d.M. herkommen, 3 ‑ 4 Tage bleiben. Es wäre schön, wenn Ihnen Ihr Zustand dann die Reise zu uns gestatten würde.
Ich bin wieder sehr arbeitsfähig, habe den Schwindelanfall in München gut analytisch erledigt und selbst die lang verhinderte dritte Übereinstimmung begonnen. Alle diese Anfälle weisen auf die Bedeutung frühzeitig erlebter Todesfälle hin (bei mir ein Bruder sehr jung gestorben, als ich wenig über ein Jahr war). Die Kriegsstimmung beherrscht unser tägliches Leben, meine Praxis hat sie noch nicht berührt, aber es kann mir passieren, gleichzeitig drei Söhne im Feld zu haben.
Ich bitte Sie um baldige weitere Nachrichten und grüße Sie herzlich
Ihr
Freud
Ihrer Pflegerin meine ergebensten Grüße. Elma war beim zweiten Besuch sehr hübsch und artig.
Der dritte Teil von Totem und Tabu (1912-13a).
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S.
Berggasse 19
Wien 1090
Österreich
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