S.
Berlin 1.7.22
Liebe Freunde,
dieser Brief wird Sie, lieber Herr Prof., nicht mehr in Wien
erreichen. Aber da er Ihnen nachgesandt wird, so wollen wir ihm unsere
besten Wünsche für Ihre Erholung und Kräftigung in den Ferien mit-
geben. Zugleich möchten wir unserer Wißbegierde Ausdruck geben und Sie
fragen, worüber Sie auf dem Kongreß sprechen werden. Die Rundbriefe
enthalten bisher kein Wort über Vorträge von Mitgliedern des Com..
Wollen wirklich alle schweigen? Sachs und Eitingon haben sich in die-
sem Sinne ausgesprochen. Nur der Schreiber dieses Briefes kann anschei-
nend keinen Kongreß schweigend miterleben.
Wie Sachs bei seiner Rückkehr aus Wien berichtete, sind
Sie, l. Herr Prof., für Vertagung der Diplomfrage. Wir stimmen dem an-
geführten Argument zu und halten einen Aufschub bis zum nächsten Kongreß
auch für richtig.
Wenn alle der Meinung von Jones zustimmen, werden wir
Eintrittskarten drucken lassen und nach dem Vorschlag damit verfahren.
Im Oktober wird Róheim uns eine Serie von Vorträgen über
psychoanalytische Ethnologie halten. Wir beabsichtigen, ihm als Entgelt dafür die
Aufenthaltskosten in Berlin zu garantieren. Er kommt eigentlich zu Stu-
dienzwecken. Die Vorträge sollen dazu dienen, ihm und seiner Frau den
Aufenthalt hier zu ermöglichen.
Von verschiedenen Seiten hörte ich in letzter Zeit Ungünsti-
ges über Brill. Er soll seinen Patienten nur ganz kurze Sitzungen
geben und nur geschäftliche Interessen verfolgen. Meine Zweifel an
dieser Darstellung wurden durch einen nahen Freund Brills leider wider-
legt. Auch mir scheint es, daß wir nicht mehr viel von ihm erwarten
dürfen. Bei dieser Gelegenheit eine Frage, die am besten wird von Wien
beantwortet werden können: wer ist in New York als wirklich fähiger &
ernster Analytiker, auch für schwierige Fälle, zu bezeichnen? Frink ist
noch in Europa. Von Blumgart habe ich keinen besonderen Eindruck.
Die beiden letzten Berliner Briefe sind hoffentlich doch
in Bp. eingetroffen, l. Ferenczi?
Sachs ist von seiner Vortragsreise aus Leipzig zurückgekehrt,
mit den gleichen Eindrücken wie ich, eher noch etwas pessimistischer.
Wenn sich dort ein geschulter Analytiker niederließe, wäre schon etwas
zu machen. Aber einstweilen hält ein Outsider eifersüchtig die Zügel
in der Hand.
Von Sachs erscheint demnächst im Verlag Seemann – Berlin
ein kl. Heft: »Elemente der Psa.«
Im Begriff, diesen Brief abzuschließen, erhalte ich die
Neuauflage der »Mythenforschung«. Wir alle drei danken Dir, l. Rank, sehr
für die Zusendung. Die Absonderung der rein mytholog. Arbeiten von
den übrigen erscheint sehr zweckmäßig. Bei den jetzigen Bücherpreisen
wird ein kleineres Buch wohl auch viel leichter Absatz finden. Also
guten Erfolg!
Mit herzl. Grüßen & guten Wünschen für die Ferienzeit
Abraham Sachs Eitingon