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S.
Berlin, am 25. 12. 24.
Lieber Otto,
wir brauchen Dir wohl nicht erst zu sagen, daß wir Deinen Brief
mit großer Befriedigung aufgenommen haben; bedeutet er doch den Abbau so vieler
peinlicher Konflikte und Affekte und die Aussicht auf eine ungestörtere
Entwicklung der „ps.a. Bewegung“, als wir in den letzten Monaten hoffen durften.Du wirst es unseren langsameren Temperamenten zugute halten, wenn wir in
Deinem Brief zwar einen vielversprechenden Wendepunkt sehen, aber der Ansicht
sind, daß Du zunächst auf dem neuen Wege weiterschreiten sollst, um wieder
ganz zu uns zu gehören. Geschehene Dinge einfach als ungeschehen zu behandeln,
wäre ein unanalytischer Standpunkt; wir wollen lieber versuchen, sie durch
gemeinsame Arbeit zu bereinigen und uns dadurch wieder zusammenfinden.Die neurotische Bedingtheit Deines Tuns – an der keiner von uns gezweifelt hat –
bedeutet ja an und für sich nichts für die Entlastung von der Verantwortlichkeit;
erst Deine Einsicht und die daraus folgenden Schritte – den ersten und wichtigsten
hast Du mit Deinem Briefe bereits getan – können uns an der alten Situation
der Freundschaft und des Vertrauens zurückführen. -
S.
Als Analytiker wissen wir alle zu würdigen, was die gewonnene Krank-
heitseinsicht und die Fähigkeit, in den aktuellen Konflikten die alten Familien-
konstellationen wiederzuerkennen, bedeutet; sie bilden die Voraussetzung des
wichtigsten Stückes der Therapie, aber sie können die Therapie selbst nicht
ersetzen. Wir fürchten deshalb nicht, daß Du es als Mißbrauch Deines uns
wieder geschenkten Vertrauens ansiehst, wenn wir Dich bitten, uns noch mehr von
der Vorgeschichte Deiner Wandlung zu erzählen, z. B. ob diese schon in Wien
eingesetzt hat oder erst nach Deiner Abreise, welchen Eindruck Deine letzte
Auseinandersetzung mit dem Prof. auf Dich gemacht hat, welches die letzte, -
S.
auslösende Veranlassung des Umschlages war, ob und was Deine amerikanischen
Leistungen und Pläne, Deine dortigen Erfolge resp. Mißerfolge damit zu tun
hatten.Soweit das Persönliche. In wissenschaftlicher Hinsicht nehmen wir an,
daß Du in der nächsten Zeit, wo Du mit der Revision Deiner bisherigen
Anschauungen beschäftigt sein wirst, nichts Neues zu publizieren beabsichtigst.
Diese Pause wollen wir zur Kritik und Aussprache benutzen, so daß wir von
einer gemeinsamen Basis aus – sie muß ja nicht absolut uniform sein – arbeiten
können. Als bester Ausgangspunkt scheint uns dazu das Referat, das Hanns –
wie bereits in unserem letzten Rundbrief vom 15.12. mitgeteilt – bis Mitte
Januar vom »Trauma der Geburt« herstellen und an die Mitglieder unseres Kreises
in M[anuskript] versenden wird. Die Besprechung dieses, Dir gewiß nicht übelwollenden
Kritikus, wird Dir die Gelegenheit zur Aussprache und zur Darlegung dessen,
was Du zurücknehmen oder hinzufügen willst, in reichem Maße geben. Am besten
wäre es allerdings, wenn Du wenigstens auf 1–2 Tage herkommen könntest.
Hanns bietet Dir die altgewohnte Gastfreundschaft mit Freuden an.
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S.