S.
Wien, am 1. April 1923
Liebe Freunde!
Diesmal ist kaum etwas Neues zu melden. Der Verlag bringt in die-
sen Tagen – um Ostern herum – die längst angekündigten Neuerscheinungen
der Reihe nach heraus.
Von Manuskripten haben wir die letzte uns angebotene Arbeit
des scheinbar sehr produktiven Varendonck über ästhetischen Symbolismus
nach dem vernichtenden Urteil Ferenczis abgelehnt.
Aus der Literatur ist verschiedenes Neues zu melden:
Von Schilder ein neues Buch: Seele und Leben, in dem er sich rückhaltloser
als bisher zur Analyse bekennt. Ferner von McCurdy ein nicht erfreuliches
Buch: Problems of Dynamic Psychology, dessen Kritik wir Dir, l. Ernest, über-
lassen. Amüsant war die 2. No. des neuen Journal of Sexology, da darin nicht
wie gewöhnlich Tannenbaum über uns alle herfällt, sondern auch sein
Mitherausgeber Robinson über Stekel. – In die Belletristik dringt die Psa
immer mehr und wie es scheint immer zersetzender, insbes[ondere] in England
und Amerika, wo fast jeder neue Roman davon handelt; neuestens auch in Frank-
reich, wie wieder der letzte Roman von Bourget „La Geôle“ zeigt. Es wäre einmal
an der Zeit, sich zusammenfassend mit dieser Erscheinung zu beschäftigen;
vielleicht tue ich es einmal (Rank), wenn ich Zeit finde, da ich glaube, daß
die Entwicklung meiner Prophezeiung im „Künstler“ recht zu geben scheint.
ad Bln: Bezügl. des Korr.-Blattes will ich mich also weiterhin jeder
redaktionellen Einmischung enthalten, obwohl ich persönlich nicht der Mei-
nung bin, daß die angestrebte Einheitlichkeit aller Korr.-Bl.-Berichte ge-
rade das Sprachliche ausschließen soll. – Daß der von mir hinzugefügte
Austritt eines Mitgliedes nicht korrekt war, gebe ich zu und werde ähnli-
ches in Hinkunft unterlassen. Doch möchte ich es aus der redaktionellen Ten-
denz erklären, die Leser möglichst zeitgerecht über alles sie interessierende
zu informieren. Auch hat dies gewisse praktische Bedeutung, da es oft nicht
gleichgültig sein kann, wenn man den Austritt (oder ev[entuellen] Tod) eines Mitgliedes
erfährt (wegen Zuweisung von Patienten, Akzeptierung von Manuskripten etc.).
(So ist die Karte, auf der mir Dr. Meijer den Austritt von Dr. Schuurman mit-
teilt vom 4. Jänner datiert und die Mitglieder hätten dies regulär erst in
der zweiten Zeitschrift-No., die Anfang Juni erscheint, erfahren; also ein halbes
Jahr später, während welcher Zeit Dr. Sch. für alle als Mitglied gegolten hätte.
Ich schlage darum vor, daß solche aktuellen Mitteilungen in der Rubrik „Be-
wegung“ von Seiten der Redaktion mitgeteilt werden, wie es z. B. auch in dieser
Nummer mit den Todesfällen geschah. –
ad Bdp: Wegen der Traumdeutung werde ich Deuticke informieren. –
ad London: Bevor ich auf Deinen frdl. Vorschlag vom 15. v. M. antworten
kann, muß ich erst Nachricht von Dr. Herbert abwarten. –
Mit herzlichen Grüßen und besten Osterwünschen
[Freud/Rank]