• S.

    Berlin, 2. Juni 23

    Liebe Freunde,

    unsren heutigen Brief können wir nicht anders beginnen wie mit
    dem Ausdruck unserer Freude über Ihre Genesung, l. Herr Professor, die
    uns nun von Ihnen selbst und aus anderen Quellen verschiedentlich bestä-
    tigt ist. Auf die zuletzt eingegangenen Rundbriefe haben wir bereits in 
    unserm letzten, verspätet abgegangenen Brief geantwortet, so daß wir 
    uns heute auf einen Bericht von hier beschränken können.

    Unsre Lehr-Kurse verlaufen sehr befriedigend. Von meinem Kurs 
    (Besprechung analysierter Fälle) trägt jetzt Frau Dr. Deutsch die 2. 
    Hälfte (Zwangsn[eurose] etc.) vor. Ihr erster Vortrag vor einigen Tagen hat
    allseitig ausgezeichnet gefallen. – Die vor längerer Zeit eingesetzte
    Unterrichtskommission hat jetzt einen Lehrplan für die Ausbildung in der
    Psychoanalyse hergestellt, wobei uns Ratschläge von Herrn Prof. halfen. Der 
    Entwurf wird demnächst der Vereinigung vorgelegt. In der endgültigen
    Form werden wir ihn dem Komitee zur Kenntnis bringen.

    Wir halten auch diesen Sommer durch 3 Sitzungen im Monat. Die 
    letzten 2 Sitzungen waren ausgefallen durch eine lange Debatte über einen 
    Vortrag von Simmel, der im Material eines kathartisch behandelten 
    Falles die kompliziertesten foetalen Erinnerungen nachweisen wollte.

    Als Neuerung melden wir ferner die Begründung einer Leihbibli-
    othek nach Ideen von Schmideberg und Radó. Unsre Vereinsbibl. besitzt 
    zwar alle wichtigen Schriften, aber doch nur je in einem Exemplar. Die 
    jüngeren Mitglieder und die neu Hinzugekommenen sind immer weniger in 
    der Lage, sich die Literatur selbst anzuschaffen. Da kann nur eine 
    Leihbibliothek mit genügender Anzahl von Exemplaren helfen. Der Verlag 
    spendierte der Vereinigung in sehr dankenswerter Weise die Bücher. Aus 
    den Leihgeldern hoffen wir die Schuld amortisieren zu können.

    Aus Frankfurt hatte Eitingon einen Bericht von Landauer, aus 
    dem hier Folgendes zitiert sei: Seit 1 Jahr komme ich mit Groddeck & 
    Meng & einigen ander[en] süddeutschen ps-a interessierten Collegen (excl. 
    Hattingberg) ab und zu zusammen. Seit dem Herbst arbeitet Kollege West-
    phal nach eingehender Analyse bei mir. Mit seiner Hilfe habe ich kürzl-
    ich einen Kreis von Studenten, die ich in die Psa einführe, zusammengebracht. 
    Während des Wintersemesters hoffe ich einen Einführungskurs zu halten.

    Übrigens siedelt von unsren Mitgliedern Frau Dr. Happel wieder 
    nach Frankfurt über.

    Im Laufe dieser Woche geht das Korrespondenzblatt nach Wien &
    London ab. – Was ist mit Imago? Wir warten alle noch immer auf Nr. 1;
    auch vom »Journal« hört man nichts.

    Gegenwärtig mache ich (A) die Revision des Manuskripts der engl.
    Übersetzung meiner Klin. Beitr.

    Von van Ophuijsen erhielt Eitingon einen langen Bericht über
    seine erste Reise nach Paris. Er berichtet über die Schwierigkeiten, die
    in den Personen, besonders Sokolnicka und ihrem Analysanden Laforgue,
    liegen. Weiter schreibt er, daß die bisherigen Übersetzungen von Herrn
     

  • S.

    Prof.s Werken wegen des schlechten Französisch beanstandet werden.
    Ophuijsen wird demnächst wieder nach Paris fahren und einige Vorträge 
    halten. – Eitingon sendet Ihnen den Brief zur Kenntnisnahme in den näch-
    sten Tagen ein, l. Herr Professor!

    Dir, l. Ernest, schreibe ich heute besonders. Wir freuen uns sehr,
    aus Deinen Briefen zu ersehen, daß Du die Operation gut
    überstanden hast, und wünschen Dir baldige völlige Wiederherstellung, von 
    der ich persönlich mich ja auch im Juli hoffe überzeugen zu können.

    Sachs wird in diesen Tagen von Wien zurückerwartet.

    Mit den besten Grüßen

    Abraham    Eitingon