• S.

    Berlin 11.1.22.

    Liebe Freunde,

    Wir kommen zunächst auf den geplanten Bilderaustausch zurück.  
    Eitingon möchte die Bilder von Ferenczi & Rank. Sachs besitzt  
    bereits alle drei. Ich habe nur ein Bild von Jones, hätte also gern  
    die beiden anderen. – Wir Berliner werden im Laufe der nächsten Zeit  
    Sorge tragen, daß wir unsre eigenen Bilder versenden können.

    Die guten Nachrichten aus Wien erfreuten uns, besonders zum  
    Jahresanfang. Auch bei uns fehlt es nicht an günstigen Zeichen, daß  
    die Psa. selbst für sich wirbt. Die Anfragen von Ärzten, die in unsrem  
    Institut arbeiten oder sich analysieren lassen wollen, mehren sich.  
    Der Zuspruch der Patienten ist zufriedenstellend, so daß auch die  
    jüngeren Mitarbeiter genügend versorgt sind.

    Die Notwendigkeit eines Unterrichtsinstituts geht besonders  
    daraus hervor, daß Leute, die uns völlig unbekannt sind, das Publikum  
    durch Vorträge über Psychoanalyse zu ködern versuchen. So kündigen  
    im Programm der „Humboldt-Hochschule“, eines Instituts für populäre  
    Vorlesungen, an: Dr. Eichberg über „Traumdeutung & Psa. nach Prof. Freud  
    & Blüher“; Dr. Schmitz: „Das Erotische im Seelenleben (psychoanal.)“.  
    Leider hat unser Mitglied Koerber, wieder ohne Autorisation durch  
    die Vereinigung, Vorträge über Psa. angekündigt.

    Von hier aus ergibt sich eine assoziative Verbindung zu der  
    kürzlich aufgeworfenen Frage der Mitgliedschaft Homosexueller, zu der  
    wir noch nicht Stellung genommen haben. Natürlich sind wir gegen jede  
    Schroffheit gegen eine Person. Im Allgemeinen aber haben wir die Er-
    fahrung gemacht, daß Homosexuelle mit unverdrängter Inversion nur  
    ein gewisses Stück weit mit uns gehen können. Sie scheitern an der  
    Frage der Homosexualität, und da diese in vielerlei Formen in jeder  
    Neurose auftritt, so sind sie außer Stande, eine Neurose wirklich  
    zu analysieren. Unsre hiesigen trüben Erfahrungen sind Hirschfeld &  
    Blüher. Was der letztere sich an Unverstand gegenüber der Psa. lei-  
    stet, steht wohl einzig da. Bei der Homos. hört für diese Leute jede  
    Möglichkeit des Weiteranalysierens auf. Wir glauben also, warnen zu  
    sollen und Homos. nur dann aufzunehmen, wenn ganz Besonderes zu ihren  
    Gunsten spricht.

    Die Drucksache zum „Seelensucher“ geht anbei nach Wien zurück.  
    Vor kurzem war Pfister in Berlin, hat aber niemanden von uns  
    aufgesucht.

    Dir, l. Ferenczi möchte ich bezügl. Ophuijsen Folgendes sagen.  
    Ich hatte kürzlich Brief von ihm, in welchem er der Sache auch Er-  
    wähnung tut. Nun liegt im Wortlaut Deiner Replik gewiß nichts Krän-  
    kendes. Aber O. ist mimosenhaft empfindlich und fühlt sich leicht  
    verletzt im Sinne der Geringschätzung. Dazu kommt der Kontrast im  
    Ausdruck zwischen Deinen zwei Repliken an O. und an mich. Sicher  
    hat er sich aus diesem Vergleich die meiste Unlust geholt. Sach-  
    lich bist Du O. gegenüber meiner Ansicht nach nicht ganz im Recht.  
    Der etwas stark gewählte Ausdruck (offene Türen) verrät wohl einen  
    leichten Affekt auf Deiner Seite. Ich habe O. inzwischen geantwortet  
    und ihm namentlich erklärt, daß er von Dir gewiß keine derartigen  
    Feindseligkeiten, wie er sie vermutet, zu erwarten habe. Da ich auf  
    O. einen gewissen Einfluß habe, so hoffe ich, die Angelegenheit
     

  • S.

    erledigt. Ich habe ihn mit aller Ruhe auf die Affekt-Möglichkeiten auf  
    beiden Seiten aufmerksam gemacht, sodass er meine Äusserung sicher  
    nicht als parteiisch zu Deinen Gunsten auffassen wird.  

    Unser aus der Schweiz übernommenes Mitglied Nachmansohn war  
    in Berlin und hat bei uns einen Vortrag gehalten, der hauptsächlich  
    seine Widerstände verriet. Auch im Gespräch gewann ich den Eindruck,  
    dass N. noch in tiefer Schweizerischer Ambivalenz befangen ist. Lei-
    der hält er in Königsberg, wo er studiert, in einem kleinen Kreise  
    Vorträge, statt zuerst einmal selbst fertig zu werden.  

    Etwas sonderbarer erscheint uns die Spende aus Minnesota von  
    Kr. 22222. Das sind doch ca. 5 Dollar!  

    Eitingon wird den Bericht über die Polikl. baldmöglichst senden.  
    Dass meine Reise nach Wien durch einen Eisenbahnstreik ver-  
    hindert wurde, wissen ausser Jones schon alle. Ich hoffe, das Ver-  
    säumte in kurzer Zeit nachholen zu können.  

    Mit herzlichen Grüssen  

    Abraham   Sachs   Eitingon