• S.

    Nr. 4
    Antwort auf L., W., Bp. 3
    Berlin 31.1.21

    Liebe Freunde,
    Der Zusammenkunft Ende Sept. stimmen wir zu. Wir nehmen an, daß
    wir alle drei werden teilnehmen können.

    Bp. Schade, daß wir von der Wiederkehr des Todestages Toni v.
    Freund’s erst jetzt erfahren! Vielleicht hätten wir gemeinsam der Witwe
    ein Zeichen des Gedenkens geben können.

    Frau Klein spricht diese Woche bei uns über PsA im frühen
    Kindesalter. Was sie mir gestern privatim davon mitteilte, macht einen
    guten Eindruck. Wir berichten weiter.

    Bezüglich Kolnai erscheint es mir nicht richtig, das tat-
    sächlich oft unverständliche deutsche Manuskript einem anderen Verlag zu
    geben. Wenn die Arbeit uns der Übersetzung wert scheint, so sollte sie
    bei uns, in Wien oder London erscheinen. Warum kommt man nicht auf den 
    einfachsten Weg, vom Autor das Manuskr. in ungar. Sprache zu verlangen
    und dieses direkt ins Englische übersetzen zu lassen?

    W.: Bezüglich des Buches von Groddeck scheint mir kein zu scharfes
    Urteil von Sachs vorzuliegen. Sollte nicht eher auf der anderen Seite
    eine Neigung zur Überschätzung G’s bestehen? Ich finde in diesem Buch 
    manches Witzige und Amüsante, wie z. B. die Frauenversammlung, aber diese 
    guten Stellen sind umgeben von unsäglichen Längen. Die ersten 150 Seiten 
    (die Wanzengeschichte) finde ich nicht nur schwach, sondern – der 
    schlimmere Vorwurf – unerträglich langweilig. Ich kann auch die Be-
    merkung nicht unterdrücken, daß ich die Bezeichnung im Verlagsverzeichnis 
    als „ersten ps-a. Roman großen Stiles“ als eine zu anspruchsvolle Re-
    klame empfinde.

    Auch in der Referaten-Frage muß ich Dir, l. Rank, widersprechen.
    Daß Boehm mit seinem Referat noch nicht fertig ist, liegt nicht an ihm,
    sondern an der Nachforderung der doppelten Anzahl Referate, die Du von
    ihm forderst. Die betr. Arbeiten stehen in Zeitschriften, die schwer zu
    bekommen sind, und ich habe mich überzeugt, daß er viel Zeit darauf
    verwandt hat, sie von den Bibliotheken zu erhalten. Noch immer fehlen 
    ihm verschiedene, und ich habe ihm gestern geraten, sie nicht zu referie-
    ren. Die populäre Zeitschr. „Geschlecht & Gesellsch.“ ist z. B. nicht
    aufzutreiben. Wenn mit dem Aufsuchen der nicht einmal analytischen
    Arbeiten Wochen vergehen, so ist das dieses Mal nicht die Schuld des
    Referenten!

  • S.

    Boehm wird Dir wegen des 2. Teils seiner Arbeit schreiben. Er ist, 
    wie übrigens auch sonst, zu Konzessionen bereit.

    L. Oberholzer sandte mir auf Anweisung der Zentrale die Bei-
    träge zweier Schweizer Mitglieder zur Zentrale. Liebermann gibt das
    Geld an Volckmar weiter.

    Das von Sachs verfaßte Referat übersetzt meine Frau ins Eng-
    lische. Die Tempest-Übersetzung schreitet vorwärts.

    Vollrath ist ein junger Kollege, der als Psychiater in einer
    Anstalt in der Provinz tätig ist. Einen Posten wie den Angefragten
    nimmt er in unserer Gruppe nicht ein.

    Vor dem Kriege erschien eine französische Schrift von Régis & 
    Hesnard. Ein Bruder dieses Hesnard hält sich in Berlin auf und ließ
    mich durch einen Bekannten fragen, auf welche Weise sein in Frankreich 
    befindlicher Bruder die Verbindung mit uns wieder aufnehmen könne. Ich 
    ließ ihn bitten, mich zu besuchen, habe aber nichts mehr gehört und
    weiß nicht, ob er etwa abgereist ist. Auf jeden Fall ist der Versuch
    einer Annäherung erfreulich, und es wäre zu überlegen, ob wir, d. h. 
    die Zentrale, an Hesnard herantreten sollen. Er scheint hauptsächlich
    nach Literatur zu verlangen. Eventuell könnte Saussure die Vermittlung über-
    nehmen.

    Die in München beabsichtigte Neugründung erfüllt mich nicht 
    mit großen Hoffnungen. Über Marcinowski äußerte ich mich schon einmal. 
    Wittenberg ist als Zwangsneurotiker sehr ambivalent, wenn auch sein 
    Bemühen zu entschiedenem Eintritt für uns anerkannt werden muß. 
    Hattingberg ist noch mit Widerständen geladen, wovon wir uns auf dem
    Kongreß überzeugen konnten. Diese Leute können unmöglich brauchbare 
    Kräfte heranziehen und ausbilden. Ich fürchte vor allem Marc[…] mit 
    seinen mystischen Neigungen. (Muß das eine Kille sein, wo er Parnes
    ist! – Ich hoffe, Jones wird verstehen.) Beim Schreiben kommt mir der
    Gedanke, daß vielleicht Reik einmal nach M[ünchen] gehen und dort aufklärende
    Vorträge halten könnte, so wie Sachs hier.

    Was Dr. Herford betrifft, so hoffe ich, daß sie bei näherer
    Bekanntschaft den ungünstigen Eindruck verwischen wird. Die Brüder
    Glover rechtfertigen mein anfängliches Urteil auch weiter, nur daß sich
    die Neurose des älteren als umfangreicher herausstellt, als man im Anfang 
    ermessen konnte. Aber beide machen, ebenso wie Miss Sh[arpe], gute Fort-
    schritte. Der jüngere Gl[over], der ein guter Redner ist, wird
    unserer Sache später sehr dienen können. Nach Mitteilung von Sachs 
    scheint die Leiterin der „Clinic“, Miss Turner, schädlich zu wirken, d. h. die PsA nach
    Jung’s Art mit Ethik usw. zu befetten.

    Unsre Generalversammlung am 27. hatte so viel Tractanden, daß
    wir einen Teil vertagen mußten. Der Fragebogen konnte erst teilweise
    beraten werden. Eine vorläufige Änderung der Statuten in dem angeregten
    Sinne wurde beschlossen. Definitives erfolgt in 3 Wochen. Der Ver-
    schiebung des Kongresses stimmen wir zu, wenn die Majorität der Gruppen 
    sie beschließt. Das ist ja nun bereits der Fall.

    In den letzten Briefen hatte ich wiederholt angekündigt, daß
    die vernachlässigten Vereinsgeschäfte durch die Wahl eines neuen Schrift-
    führers wieder in Ordnung gebracht werden würden. Das geschah mit
    Wissen und Zustimmung von Eitingon und Sachs, die mich beide gebeten 
    hatten, mich bis zum 27. Jan. zu gedulden. Obwohl nun in L.’s Zustand
    kein entscheidender Umschwung eingetreten ist, der eine Besserung der 
    Geschäftsführung erhoffen ließe, haben E. & S. in letzter Stunde ihren
    Standpunkt geändert und mich in eine Zwangslage versetzt.

  • S.

    Eitingon hat Sachs brieflich gebeten, mich zum Nachgeben zu 
    bestimmen, und S. hat sich auf den gleichen Standpunkt gestellt. Die
    Rücksicht auf L[iebermann]’s Krankheit kam nicht mehr als sachliches Motiv in
    Betracht. L. hatte seine Bereitwilligkeit zum Rücktritt selbst erklärt,
    und ich hatte vorgeschlagen, er solle ausdrücklich nur vorübergehend
    verzichten. Sachs sollte interimistisch die Geschäfte führen und sie
    ihm wieder übergeben, sobald es möglich sei.

    Wenn von uns zwei einer Ansicht sind, so muß der dritte halt
    nachgeben. Aber für mich gab es hierzu noch ein anderes Motiv. Ich
    hätte unter diesen mir plötzlich octroyierten Verhältnissen nur einen
    Weg gehabt, meine Ansicht durchzusetzen: wenn ich nämlich mit der
    Alternative gedroht hätte, entweder L. oder ich müssen resignieren.
    Dann hätte ich L. hinausgedrängt, und daran hätten sich die unangenehm-
    sten Auseinandersetzungen geschlossen. Ich habe Sachs erklärt, daß 
    mir so nur übrig bliebe, die miserable Geschäftsführung in unserer 
    Generalversammlung mit Stillschweigen zu übergehen, daß ich aber dem 
    Comité gegenüber gerechtfertigt sein wolle und daher im heutigen Brief 
    den Vorgang mitteilen würde. Sachs hat seine Zustimmung hierzu erklärt. 
    Ich bitte nun, mich für künftige Mängel der Geschäftsführung nicht 
    verantwortlich zu machen, sie mich aber wenigstens wissen zu lassen. 
    Nachdem ich jetzt noch einmal meine Bereitwilligkeit zum Nachgeben 
    bewiesen habe, werde ich bei neuem Anlaß den Vorsitz bestimmt nieder-
    legen. Ich werde S. bitten, diesem Brief nötigenfalls eine ergänzende 
    Darstellung anzufügen.

    Für Rank: Anbei ein kleiner casuist. Beitrag für die Zeitschr.
    von mir. Referat Pfister folgt in einigen Tagen. Die Übersetzung
    Delgado war schon abgegangen, bevor Deine Mahnung eintraf.

    Mit herzlichen Grüßen
    Hanns Sachs    Abraham