• S.

    Berlin-Grunewald, den 1. März 1922.

    Liebe Freunde!

    Der Wiener Brief ist erst heute eingetroffen. Wir konnten 
    nicht früher schreiben, weil uns an der Wiener Stellungnahme zu 
    unserem Vorschlag im vorletzten Briefe besonders gelegen war.

    Zunächst einige Mitteilungen von uns. Unsere Quartalskurse 
    sind eröffnet. Sachs hat in seinem Kursus über Technik der Traum- 
    deutung 16 Zuhörer, ich (A.) in meinem Seminar 23, also Zahlen, 
    welche über das früher gewohnte erheblich hinausgehen.

    Aus Leipzig kam ein Brief der Studentenvereinigung für Ps[a.], 
    in welchem Voitel auf unseren Vorschlag eingeht und bittet, daß 
    im Sommersemester monatlich ein Vortrag aus unserem Kreise in Leip- 
    zig gehalten werden möchte.

    Budapest: Ich (A.) möchte Ferenczi und Rank bitten, sich we- 
    gen des Wohnens miteinander zu einigen. Beide sind uns gleich will- 
    kommen.

    Die Frage, bis wann Vorträge anzumelden sind, muß von London 
    aus beantwortet werden, wie überhaupt alle derartigen Anordnungen 
    nicht von Berlin aus gegeben werden können. Wir haben nur die rein 
    lokalen Anordnungen zu treffen und werden auch in dieser Beziehung 
    stets vorher die Ansicht des Komités bez. die Zustimmung der Grup- 
    pen einholen.

    Wie Rank richtig bemerkt, handelte es sich in unserem vorletz- 
    ten Briefe nur um Anregungen, keineswegs um ein festes Arrangement. 
    Es war auch erwähnt, daß diese Vorschläge zunächst im Komité bera- 
    ten werden sollten, ehe sie den Gruppen vorgelegt würden. Natürlich 
    muß auch die Einladung französischer oder anderer Gäste von London 
    geschehen. Abgesehen davon, daß diese ja keine Gäste unserer Grup- 
    pe, sondern Teilnehmer des internationalen Kongresses sein sollen, 
    würde auch eine Einladung von deutscher Seite ungünstiger sein, als 
    von englischer.

    London: Auch wir, lieber Jones, erinnern uns nicht, daß das 
    Datum des Kongresses im Herbst bereits festgelegt wurde. Wir hof- 
    fen, daß alle Gruppen nun mit dem 25. bis 27. September einverstan- 
    den sein werden.

    Ich glaube, daß in der letzten Zeit eine Reihe von Mißverständ- 
    nissen vorgekommen ist. Auch die Anfrage, ob die Zentralkasse uns etwa 
    10 £ zum Kosten des Kongresses geben könne, war ganz privata 
    gestellt und nicht zur Weitergabe an Flügel bestimmt. Ich befürchte,
     

  • S.

    befürchte, daß Flügel sich verletzt fühlen kann, wenn derartige 
    Anfragen nicht an ihn direkt gerichtet werden. Wir wollten zu- 
    nächst nur Deine persönliche Meinung hören u. dann wollten wir an 
    Flügel schreiben, was nun natürlich nicht mehr nötig ist.

    Es wundert uns, daß die Erhebung eines Eintrittsgeldes für 
    die Veransta[l]tungen, welche mit dem Kongreß verbunden sind, auf 
    so großen Widerstand stößt. Den Kontrast mit der holländischen 
    Gastfreundschaft brauchen wir nicht zu scheuen, denn jeder weiß, 
    daß wir mit ihr nicht konkurrieren können. Unter den gegenwärti- 
    gen Verhältnissen ist es ganz unmöglich, die Mittel aufzubringen, 
    um z. B. dem Kongreß ein Gastmahl zu bieten, auch wenn es viel 
    einfacher als in Holland wäre. Rechnen wir nur auf 200 Teilneh- 
    mer, so wären die Kosten auf 40.000.– M. oder mehr zu berechnen 
    und einen solchen Betrag könnten wir unmöglich durch Sammlungen 
    aufbringen, zumal ja auch weitere Kosten hinzukommen. Einen der 
    Fonds für einen derartigen Zweck in Anspruch zu nehmen, erscheint 
    uns unrichtig, weil dadurch anderen Zwecken die Mittel entzogen 
    würden. Vorläufig wissen wir nun nicht, wie wir uns in dieser 
    Lage helfen sollen. Leider ist in allen Briefen, besonders in dem 
    Wiener-Brief, nur von unseren Vorschlägen abgeraten, ohne daß 
    ein positiver Vorschlag an die Stelle gesetzt wäre.

    Den Vortrag über Adler und Jung auszuarbeiten, hält auch 
    mich bisher die Unlust fern. Vielleicht finde ich aber doch in 
    nächster Zeit einmal Gelegenheit, ihn zu diktieren und ihn Dir, 
    lieber Jones, dann zu übersenden.

    Wien: Die Bedenken gegen die Veranstaltung von Vorträgen 
    nach dem Kongreß haben wir in ähnlicher Weise auch gehabt, der 
    Vorschlag wurde aber aus dem Kreise unserer Vereinigung so leb- 
    haft gemacht, daß wir ihn dem Komité unterbreiten wollten. In 
    nächster Woche werden wir die Frage noch einmal zur Sprache brin- 
    gen und dann weiter berichten.

    Was die stenographische Aufnahme der Verhandlungen betrifft, 
    so ist der Einwand, daß wir uns nicht verpflichten sollen, sämtli-
    che Vorträge zu drucken, an sich berechtigt. Im übrigen war ja 
    der Vorschlag nicht gemacht, um die Vortragenden der Mühe der Nie- 
    derschrift zu entheben, sondern um die Redaktion schneller in den 
    Besitz der Vorträge zu setzen.

    Bei der Beantwortung unserer 3 Vorschläge, besonders dieses 
    ersten, haben augenscheinlich gewisse Affekte mitgewirkt, so daß 
    die Ablehnung nicht ohne weiteres stichhaltig zu sein scheint.

    Der Vorschlag eines Zusammenseins des Komitees nach dem Kon- 
    greß, wie er von Jones gemacht wird, scheint auch uns sehr an- 
    nehmbar und verspricht jedenfalls mehr Lust als die Veranstaltung 
    von Vorträgen. Hoffentlich äußern sich Wien und Budapest hierzu 
    auch zustimmend.
     

  • S.

    Von Stärcke habe ich bisher nichts erhalten. Sobald ich den 
    Vortrag habe, werde ich ihn lesen und darüber berichten.  

    Frau Dr. Bondy hat sich bisher nicht gemeldet. Das Referat 
    über Sadger würde Boehm sicher sachgemäß erledigen. Aber wenn 
    ein anderer Referent vorgeschlagen wird, so steht dem natürlich 
    nichts im Wege.

    Zum Schluß möchte ich noch mit einigen Worten auf Deinen 
    Privatbrief, lieber Jones, zurückkommen, den ich teilweise schon 
    oben beantwortet habe. 

    Eitingon hat inzwischen an Flügel geschrieben, ihm ein Ver-
    zeichnis der Mitglieder und der Sitzungen eingesandt und wird 
    dies weiter regelmäßig tun.

     
    Bezüglich des Arrangements des Kongresses ist es wohl klar, 
    daß alles in diesen Briefen enthaltene nur zur Diskussion des 
    Komitees gestellt wird und in keiner Weise einen Beschluß der 
    Berliner Gruppe bedeutet.  

    Mit bestem Gruß  

    Abraham  Eitingon