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Nr. 6.
Antw. auf L, W, Bp 11/2. Berlin 21.2.21Liebe Freunde,
Es ist eine wahre Lust, auf diesem neuen Papier zu schreiben,
das so leicht über die Walzen der Maschine rollt und kein so gewaltsa-
mes Aufschlagen erfordert. Darum soll dieser Brief auch recht ausführ-
lich sein, zumal den nächsten ein anderer wird verfassen müssen. Ich
fahre Anfang März mit meiner Frau zur Erholung, die ich dringend brau-
che, nach Meran. Meine Adresse ist dort dieselbe wie Eitingons: Park-
Hotel. Ich wäre dankbar, dort auch wie E. von Euch zu hören, soweit es
nicht besondere Mühe macht. Ende März will ich wieder in Berlin sein.Ranks Vorschlag folgend berichte ich zuerst von uns. Vor
einigen Tagen feierten wir den Jahrestag der Gründung unsrer Poli-
klinik. Sie ist in gutem Gange. Gegenwärtig werden ca. 40 Personen
behandelt. Ich sandte an Rank unser Programm für die nächsten Monate.
Eitingon und Simmel werden den Versuch machen, in der Poliklinik praktischen
Unterricht in der PsA zu erteilen. Zugelassen werden nur solche, die
durch eigene Analyse und theoretische Vorbildung (Kurse, Literatur) vor-
bereitet sind. Jeder Teilnehmer erhält einen Kranken zugewiesen und
muß regelmäßig mit einem der beiden Kursleiter über den Verlauf der
PsA konferieren. Wir hoffen, daß sich diese Unterrichtsmethode bewäh-
ren wird. Sachs spricht über Traumdeutung, Liebermann über psa. Tech-
nik. Beides für Fortgeschrittene. Ich werde nach meiner Rückkehr im
April ein Seminar über Libidotheorie der Neurose halten. Es sollen
Referate über die kleinen Aufsätze im 4. Bande der Kl. Schriften mit
nachfolgenden Besprechungen gehalten werden. Mitte Mai will ich dann
wieder einen Einführungskurs für Anfänger beginnen.Der Bücherverkauf geht befriedigend. Sachs bittet, keine
Bücher von Stekel mehr zu senden. Wir sollten doch vor dieser Schund-
ware warnen, statt sie noch durch Aufnahme in unser Bücherlager zu
fördern.Sachs ist aus der Wiener Gruppe zu uns übergetreten,
ebenso Hárnik aus der Bp. Letzterem geht es leider noch nicht so wie
wir wünschten. Verschiedene ihm zugewiesene Patienten sprangen ab,
nicht etwa durch seine Schuld, sondern weil er in der Poliklinik Privat-
patienten empfangen muß. Das läßt das Publikum sich nicht gern ge-
fallen. Er wird, wenn er demnächst umzieht, bei sich Patienten emp-
fangen können.Letzte Sitzung hörten wir einen Vortrag von Alexander,
den ich schon erwähnt hatte. Er schickt ihn als Manuskript in den näch-
sten Tagen. Für einen Anfänger ist die Leistung sehr beachtenswert.
Noch einmal zur Übersetzung Kolnai! Ich meinte mit mei- -
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nen Vorschlag, daß das ungarische Manuskript in Budapest ins Englische
übersetzt werden solle. Vielleicht durch Róheim? Es wird aber dort
gewiß noch mehr Leute geben, die das unter Leitung des Autors fertig
brächten. Schlimmstenfalls wäre Alexander bereit, mit Unterstützung
eines unserer englischen Gäste die Übersetzung zu machen, natürlich nur
nach dem ungar. Text.Ich muß bei meiner Warnung wegen München bleiben. Dein
Einwand, l. Rank, „in jeder Gruppe gebe es ambivalente Zwangsneurotiker“,
trifft den Tatbestand in M. nicht. Denn die drei präsumptiven Gründer
des Vereins sind alle fragwürdig. Jede unsrer Gruppen hat bisher die-
selbe Entwicklung genommen wie ihr oder ihre Gründer. Es tut nichts
wenn einige Mitglieder solcher Art in einem Verein sind, aber sie
sollen keine leitende Rollen spielen und vor allem sollten neu hinzu-
kommende Anfänger ihre Kenntnisse nicht aus so trüber Quelle schöpfen.London: Von den Brüdern Glover ist James der ältere, der
in Brunswick Sq. gearbeitet hat. Er kehrt im April nach London zurück,
ebenso Miss Sharpe, während der jüngere Gl. noch bleibt. Beide Brüder
gehen mit mir nach Meran, um den Monat nicht zu verlieren. Die Ver-
treterin von Miss Sh[arpe] in der „Klinik“ will sich von Sachs analysieren
lassen. Dich, l. Jones, wird es interessieren, daß der jüngere Gl. Dir
in Deinem Verhalten zu den Brunswick-Leuten vollkommen Recht gibt.Ich hoffe, Du hast keinen Augenblick gezweifelt, daß die
Agitation für meine Einladung nach London ohne mein Wissen und gegen
meinen Willen geschehen ist! Ich danke Dir herzlich für Deine wieder-
holte freundliche Aufforderung, aber es ist ganz unmöglich, daß ich
ihr in diesem Jahre Folge leiste. Nachdem ich Dr. Herford schon einmal
nachdrücklich gebeten hatte, keine Versuche mehr zu machen, um mich
nach England kommen zu lassen, habe ich ihr nach Empfang Deines letzten
Briefes noch einmal meinen Standpunkt unzweideutig klar gemacht. Ich
hatte nämlich inzwischen eine von verschiedenen Leuten unterzeichnete
Einladung erhalten. Auch an Dr. James Glover kam noch ein derartiger
Brief, der ihn mir stillschweigend überreichte und es als selbst-
verständlich ansah, daß ich darauf nicht eingehen würde. Meine nach
Reading gerichtete Antwort sagt nochmals klar, daß ich erstens außer
Stande bin, in diesem Jahr zu kommen, daß ich zweitens aber als
Vorsitzender der Berliner Gruppe niemals auf private Einladung kommen
würde, sondern nur auf Wunsch und Initiative der Londoner Gruppe. Auch
habe ich sie auf die Mißdeutungen aufmerksam gemacht, denen mein
Verhalten ausgesetzt sein würde. Ich hoffe, die Sache wird nun erledigt
sein und bedauere nur, daß Du und Flügel so viel Bemühungen gehabt
habt. Ich wäre dankbar, wenn Du Flügel davon unterrichten würdest.
Er kennt mich nicht genau und könnte denken, daß ich jene Agitation
mindestens geduldet hätte. Und ich möchte doch nicht gern in den Ver-
dacht eines illoyalen Verhaltens kommen!Wir bedauern sehr die neuen Schwierigkeiten, die der PsA
und besonders Dir persönlich bereitet werden.Wien: Bezüglich Hesnard verdient Ranks Ansicht Zustimmung.
Ich bin auch dafür, den Mann an uns herankommen zu lassen.Wir freuen uns über die anscheinend glückliche Lösung der
Personenfrage im Verlag und erhoffen für Dich, l. Rank eine wirksame
Entlastung.Reik schrieb mir, daß er an Übersiedlung nach Berlin
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keinesfalls für jetzt denke. Sie komme später nur in Betracht, wenn
sich ihm in Berlin ein weit besseres Auskommen als in Wien biete, denn
er sei jetzt völlig zufrieden. Da man ihm etwas Derartiges unmöglich ver-
sprechen kann, so erledigt sich die Frage wohl von selbst.Oberholzer hatte mir geschrieben, er sei von London aufge-
fordert, den Betrag in deutschem Gelde an mich zu senden, zwecks Weiter-
gabe nach Wien. Ich übergab das Geld Liebermann, der es nun irrtümlich an
Volckmar gesandt hat.Budapest: Ich danke Euch allen für die Stellungnahme zu
meiner persönlichen Bemerkung im letzten Brief. An Deine Bemerkung, l.
Ferenczi, muß ich mit einigen Worten anknüpfen, da Du offenbar ohne
genügende Information urteilst. Denke Dir, in Deinem Verein wäre die
gesamte Geschäftsführung so verworren wie hier, d. h.: alle Protokolle
verloren, Kassenführung derart vernachlässigt, daß man nicht weiß,
wer Abonnements und sonstige Beiträge bezahlt hat und wer nicht, keinerlei
Belege über Ausgaben, Korrespondenz vollkommen vernachlässigt (wie in
den Fällen Frost, Pietsch usw.), und bei alledem für mich keine Mög-
lichkeit, Einfluß darauf zu nehmen. Dazu ständige Monita aus Wien,
weil alles unterbleibt oder falsch gemacht wird. Alles dies habe ich
nun viele Monate geschehen lassen müssen, habe es auch in der General-
versammlung vor den Mitgliedern verdeckt. Aber gerade weil ich mit allen
Fasern an dem Verein hänge, mag ich nicht ein weiteres Jahr diesen Zu-
stand konservieren. Es ist also nicht irgend eine Bagatelle, die mich
zu meiner Bemerkung veranlaßt hat. Ich will zufrieden sein, wenn
wieder Ordnung einkehrt, aber ich zweifle an der Besserung. Was ich
schrieb, war übrigens von Sachs gebilligt, der in die Verhältnisse genauen
Einblick hat. Eitingon schrieb mir, er sei nicht einverstanden, er
war aber auch nicht unterrichtet über einen sehr peinlichen Vorfall,
der unmittelbar vor der Generalversammlung passierte. Wenn ich trotz alledem
der Wiederwahl des Schriftführers durch Akklamation zugestimmt habe,
so glaube ich wirklich, in der Angelegenheit nicht engherzig gehandelt
zu haben. Mein Verhalten ist jedenfalls durchaus konziliant gewesen,
so daß zu der Befürchtung einer übereilten Handlung meinerseits doch kein
Grund vorliegt. Ich hoffe, daß diese Erklärung Euch allen genügen wird,
so daß wir die Frage wohl nicht weiter zu erörtern brauchen. Der An-
regung von Jones folgend werde ich, falls neue Schwierigkeiten kommen
sollten, das Komitee unterrichten und nur im Einverständnis mit ihm
handeln.Zum Schluß noch die Bemerkung, daß alle Mitglieder bei uns
mit der Verschiebung des Kongresses einverstanden sind.Mit herzlichsten Grüßen
Dr. Hanns Sachs Abraham