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    Berlin, 16.12.22
    Liebe Freunde,
    Der diesmalige Brief kann sich vom vorigen durch Kürze unter-
    scheiden, da für uns kein Grund vorliegt, auf den Hauptpunkt des vorigen
    Briefes noch einmal zurückzugreifen. Auch Dein inzwischen eingegangener
    Brief, l. Sándor, soll dazu nicht als Anlaß dienen. Aber für die Zukunft
    möchte ich „einen Vorschlag“ machen, der es unserm Kreis erleichtern
    würde, Meinungsverschiedenheiten in sachlicher Weise zu erörtern. Wenn
    jemand aus Abneigung gegen jede Kleinigkeitskrämerei über eine Menge
    von Einzelheiten hinweggesehen hat, weil jede für sich zu gering schien,
    eines Tages aber doch einmal zu einer Reklamation genötigt ist, so sollte
    man diese Reklamation nicht nach ihrem letzten Anlaß beurteilen und
    den Betreffenden nicht kurzerhand als kleinlich hinstellen. Das Bestre-
    ben, einander nicht mit Kleinigkeiten zu behelligen, sollten wir bei
    einander ohne Weiteres voraussetzen, deshalb aber auch jede aus unserm
    Kreise lautwerdende Klage unbedingt einer objektiven Prüfung würdigen.

    Auf die Frage des Korresp.-Bl. muß ich allerdings zurückkommen.
    Die Zusammenstellung eines solchen ist nämlich bisher ganz unmöglich.
    Ein vollständiger Bericht über beide Quartale liegt mir nämlich nur von
    Berlin vor. London sandte einen Bericht, bevor Rank das Circular aus-
    schickte. Der Bericht betrifft aber nur das vorige Quartal. Der für das
    laufende Quartal, der von Rank auf 1. Dez. eingefordert war, ist aus-
    geblieben. – Holland sandte auf das Circular einen Bericht, aber auch
    nur für das eine Quartal. – Wien, Budapest & Schweiz sandten überhaupt
    nichts, von Amerika & Indien gar nicht zu reden, weil für diese der
    gestellte Termin viel zu nahe war. Ich habe nun davon abgesehen, die
    Säumigen zu mahnen, da ich nicht wußte, ob dies etwa inzwischen von
    Wien aus geschehen ist. Ich bitte Dich, l. Otto, um umgehende Auskunft
    darüber. Besonders aber möchte ich „bitten“, mir den Termin des Erschei-
    nens der nächsten Z[eitschrift], resp. der Drucklegung mitzuteilen, damit ich ev.
    Einlaufendes noch redigieren & einsenden kann. Ich bemerke, daß der
    Berliner Bericht noch einiger Änderungen & Ergänzungen bedarf, ebenso
    kann der holländische nicht so, wie er ist, in die Presse gehen.

    Die „Kindersammlung“ wird Lampl mit nach Wien nehmen. Ich schreibe
    Dir, l. Otto, darüber noch eingehend, sobald ich die nötige Zeit finde.

    Sachs wird am Samstag, d. 23., in W[ien] eintreffen.

    Die letzten Sitzungen unsrer Vereinigung waren sehr ergiebig.
    Ich werde Frau Dr. Happel veranlassen, einen kleinen, sehr hübschen Bei-
    trag einzusenden. Unsre Diskussionen haben durch Radós Teilnahme ent-
    schieden gewonnen. Die jüngeren Mitglieder & Gäste sind von einem sol-
    chen Eifer besessen, daß wir trotz 3 Sitzungen im Monat ein Über-
    angebot an Vorträgen haben.

    Auf eine Einladung hin werde ich im Laufe der nächsten Monate
    in Hamburg einen Vortrag aus dem Gebiet der Religionswissenschaft halten.
    Ein der Hamburger Universität angegliedertes Institut, die „Bibliothek
     

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    Warburg“, veranstaltet eine Reihe von religionswiss. Vorträgen und
    wünscht darunter einen ps-a zu haben.

    Die Frage der Lit.-Sammlung in der hies. Staatsbibliothek scheint
    jetzt erledigt zu sein. Meine Frau besorgt die Durchsicht der Zeitschriften
    in regelmäßigen Abständen.

    An Ermakow werde ich jetzt in dem von Dir, l. Ernest, angereg-
    ten Sinne schreiben.

    Zum Schluß noch eine persönliche Mitteilung. Ich schulde dem
    Com. noch ein Bild. Vor Kurzem hat nun ein hier lebender ungarischer
    Maler, Tihanyi5, eine Zeichnung von mir gemacht, die lithographisch
    vervielfältigt wurde. Ich sende sie demnächst „an alle“. Nach Wien
    wird Lampl 2 Exemplare mitnehmen, nach Budapest besorgt es Radó. Du
    l. Ernest erhältst es unmittelbar nach Neujahr durch Glover, der dann
    heimkehrt. Im Voraus mache ich darauf aufmerksam, daß es sich um eine
    expressionistische Zeichnung handelt, die nicht vom Standpunkt der
    Portrait-Ähnlichkeit gemacht ist.

    Dieser Brief nimmt eine volle Fracht guter Wünsche für 1923
    mit! Herzliche Grüße

    Abraham

    [Handschriftlicher Nachtrag:]
    Von Sachs größtenteils gelesen.
    Unterschr. fehlt, weil aus Zeitgründen
    nicht mehr einzuholen.

    Ihnen, l. Herr Prof., bestätige ich den Eingang
    der Karte. Ich versuche, Näheres über die ägypt.
    Funde zu erhalten & sende es dann!
    Zugleich senden meine Frau & ich
    Ihnen & den Ihrigen unsere
    besten Grüße zum Enkelkind! 

    A.