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S.
Wien, am 15. November 1922.
Liebe Freunde !
Die wichtigste Nachricht, die wir heute mitzuteilen
haben, betrifft den Verlag und zwar die Tatsache, daß zwingende wirt-
schaftliche Notwendigkeiten uns veranlassen, den ganzen Betrieb so rasch
als möglich nach Deutschland zu verlegen, wo wir mit besseren technischen
Mitteln, besser geschultem Personal und etwa den halben Kosten wie hier
nicht nur Besseres leisten können als bisher, sondern auch den Betrieb rentabler
machen können. Wir haben alle nötigen Vorbereitungen zu dieser Verlegung
hier bereits getroffen: d. h. den Personalabbau hier eingeleitet, die Her-
stellungsarbeiten bis auf die dringenden oder bereits begonnenen hier si-
stiert und anfangs Dezember wird Storfer, der die Neuorganisierung über-
nommen hat, mit dieser Mission in Berlin eintreffen. Der Hauptteil der
Angestellten verläßt den Verlag am 31. Dezember, der Rest, der für die
Übergangsperiode gebraucht wird, Ende März, so daß bis zu diesem Zeit-
punkt die Verlegung praktisch durchgeführt sein wird.Die Redaktion – wie übrigens auch die Wiener Auslieferung,
die ja jetzt materiell wichtiger geworden ist als die deutsche – verbleiben
natürlich weiter in Wien u. zw. in den bisherigen Verlagsräumen, die wir
ebensowenig aufgeben wie die Wiener Firma überhaupt.Mit diesen Tatsachen, die einfach gegeben sind, wenn
wir den Verlag über die schwere europäische Wirtschaftskrise
hinüberretten wollen, erscheint aber auch ein Teil der Press-Probleme in praxi gelöst
und wir hoffen, daß es dann auf Grund der neuen Tatsachen leichter sein
wird, die restlichen Differenzen zu bereinigen. Daß die englische Herstel-
lung, die ja wesentlich auf der Ausnützung des Valutagewinnes basiert war
in dem Moment, als man draußen billiger produzierte, hinaus mußte, war
klar; dazu kommt, daß draußen alle technischen Herstellungsschwierigkei-
ten (wie Typen, Papier, Leinen) glatt wegfallen, ja die Vollkommenheit der
deutschen Buchherstellungstechnik uns jede Gewähr für exakte und rasche Ar-
beit liefert. Was die Personalfrage betrifft, so hat Hiller gelegentlich der
Personalabbau-Aktion im Verlag erklärt, daß er sein Ausscheiden per 31.
März vorgesehen hat. Ich habe noch nicht näher mit ihm darüber gesprochen,
weiß also gar nicht, ob er überhaupt bereit wäre, mit dem Verlag hinauszu-
gehen, weiß aber auch gar nicht, ob ich ihn dazu auffordern werde, da es
mir sehr gut möglich scheint, mit einem erstklassigen deutschen Hersteller,
den wir ohnehin engagieren müssen, da wir alle nur Laien sind, tadellose
englische Bücher herzustellen, für die ja übrigens die Muster bereits vor-
liegen
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S.
Das rein Englische sozusagen daran, d.h. das Sprachliche müßte und könnte m.E. noch in London gemacht werden, d.h. alles Redaktionelle einerseits und die ganzen Korrekturen anderseits. Die Arbeit, die Hiller jetzt macht, ist tatsächlich eine teils rein redaktionelle (Manuskripte verbessern, Korrekturen lesen), zum anderen Teil eine herstellerische. Beides ist nicht sein Fach und beides könnte von Fachleuten, von denen der redaktionelle in London, der technische in Berlin sitzen würde, besser besorgt werden. Im übrigen würde sich diese Reorganisation des Press- Betriebes dann in gar nichts von dem neuen Verlagsbetrieb unterscheiden, dessen redaktionelle Arbeit in Wien verrichtet werden wird – wie die der Press in London – während die Herstellung gleichfalls in Deutschland er- folgen wird. Es ist dies übrigens nur der normale Verlagsbetrieb wie er auch sonst ist. – Es blieben dann nur noch die finanziellen Vereinbar- ungen zwischen Verlag und Press zu regeln, die natürlich unter Aufrecht- erhaltung der selbständigen englischen Firma am besten in einer geson- derten Buchhaltung zum Ausdruck kämen, die – auch in Berlin geführt – einander gegenseitig als Kreditoren und Debitoren gegenüber- und bei- stehen. Doch scheint mir diese Frage erst nach der Neuorganisation prak- tisch wichtig und durchführbar und ich möchte Dich auch, l. Ernest, bit- ten, Dr. Rickman, der mir sein Memorandum schickte, von der neuen Sachlage in Kenntnis zu setzen und ihn zu ersuchen, sich mit der Rege- lung der internen Verhältnisse zwischen Press und Verlag zu gedulden, bis wir sehen, ob und unter welchen Bedingungen wir überhaupt weiter leben können. Dies wird, hoffe ich, bis Ende des Jahres der Fall sein.
Schließlich möchte ich zum Abschluß dieser Angelegenheit Hillers per- sönliche Stellung berühren, auf die Du, l. Ernest, wie mir scheint zu viel Gewicht legst. Hiller hat sich von Anfang an uns gegenüber sehr kühl und reserviert verhalten, woran auch verschiedene Versuche meinerseits, ihm persönlich näher zu kommen oder näher kommen zu lassen, nichts geän- dert haben. (Wir haben ihn wiederholt in unserem Haus als Gast gesehen, wobei er sich meist nicht sehr taktvoll gezeigt hat, haben ihn zum Thea- terbesuch und auf Ausflüge eingeladen, ohne zu bemerken, daß ihm dies besonders erwünscht wäre; er scheint sich am wohlsten allein oder in der von ihm gewählten Gesellschaft zu fühlen und ich habe auch nicht be- merken können, daß das allmähliche Nachlassen dieser persönlichen Be- ziehungen ihn irgendwie unangenehm berührt hätte. Ich bin auch über- zeugt, wenn man ihn heute darüber fragen würde, daß er sich nicht bekla- gen würde, ich hätte ihn irgendwie persönlich vernachlässigt. Im Gegen- teil hat er bei unserer letzten Unterredung wiederholt betont, daß er mit mir beruflich immer sehr gut ausgekommen sei, sich [aber] über die Be- handlung beklagt, die er von Dir erfahren mußte. Da ich nun Hiller, bei allen seinen Schwächen, für einen durchaus ehrlichen und hochanständi- gen Menschen halte, muß ich dies auch als seine wahre Meinung ansehen und kann mir nicht denken, daß er ein Doppelspiel treibt (indem er sich bei Dir über mich und bei mir über Dich beklagt.)
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S.
Obwohl wir hier die Wirtschaftskrise immer drückender empfinden,
scheint sich doch das Interesse für die Analyse immer weitere Kreise zu erob-
ern. Verschiedene Vereine wie das Medizinische Doktorenkollegium, der Verein
der Freidenker, ja selbst die Polizeidirektion haben beim Professor oder
einzelnen Funktionären vorgesprochen, um Vorträge über Analyse zu
erbitten.Im Verein hatten wir letzthin einen Vortrag von Silberer: Einige Beob-
achtungen an Träumen, der wieder charakteristisch für die jesuitische Art
dieses Menschen war. Nachdem er in gewundenen Worten versicherte, daß
er mit seinem Vortrag gar nichts beweisen wolle, am wenigsten etwas „Funktio-
nales“ oder „Anagogisches“, überhaupt nichts Theoretisches, ließ er weiter-
hin einfließen, daß er bei seiner Beschäftigung mit der praktischen Traum-
deutung (in der Analyse) immer mehr zu der Anschauung komme, daß das Funktion-
ale sich eigentlich in jedem Traum äußere, manchmal allerdings nur rudimentär.
Dann gab er eine Anzahl von Beispielen, welche die Einstellung des analysier-
ten Patienten zur Analyse (also Übertragungs- und Widerstands-Darstellungen
im Traume) illustrierten, so daß wir alle den Eindruck gewinnen mußten,
er fasse dies „funktional“ auf. Aber schon auf die ersten Einwendungen des ersten
Diskussionsredners, daß das lauter uns wohlbekannte Phänomene seien, die gar
nichts Funktionelles (wenn auch Gedanken, so doch Gedankeninhalte) sind, bestätig-
te er dies selbst und schien somit seinen ganzen Vortrag ad absurdum zu füh-
ren. Da er aber eine sehr dicke Haut hat, wird ihn scheinbar auch diese Blama-
ge, die er in der Vereinigung erlitten hat, nicht abhalten, weiter Mitglied zu
bleiben. Immerhin war es für uns interessant zu sehen, in welcher Richtung
sich seine „Entwicklung“ nach der äußerlichen Trennung von Tannenbaum be-
wegt. (Von Stekel scheint er sich nicht getrennt zu haben, denn einiges von sei-
nem Mist, dürfte dieser ihm geschickt haben; er wird also wohl informell
„Assistent“ von Stekel sein.)ad Berlin: Die Frage des Korrespondenzblattes hoffen wir nunmehr zu
aller Zufriedenheit geregelt. Verantwortlich für das K.Bl. wird natürlich
Abraham als Zentralsekretär zeichnen.ad Bdpest.: Sollte Jelliffes Anfrage sich auf das von ihm geleitete „Jour-
nal of Nervous and Mental Disease“ beziehen, so sehen wir gar keinen Grund, ihm
die gewünschten Autoreferate nicht zu liefern, da es ja auch in unserem Inter-
esse liegt, sachlich korrekt in einem neurologischen Journal referiert zu werden.
Stuchlick kennen wir auch als Mitarbeiter unserer Zeitschrift. Er hat s. Z.
Autoreferate seiner technischen Arbeiten über Psychoanalyse eingesandt.Wir freuen uns sehr auf die Mitteilung des versprochenen Falles, dem
dann hoffentlich bald andere ähnliche auch von anderer Seite folgen sollten.
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S.
ad London: Wir freuen uns, l. Ernest, über den reizenden Beitrag von Frau Kitty
und bitten, ihr im Namen der Redaktion zu danken. Übrigens können wir uns
gleich mit einem Beitrag für das Journal revanchieren, der dem Professor
von einem zufällig in Wien anwesenden englischen Chemiker („Public Analyst“)
übergeben wurde, der sich übrigens darauf berufen hat, aus der selben Stadt
zu stammen wie Du (Swansea). Das interessante Versprechen und seine richtige
Wertung aus der nordischen Sage, das ein Chemiker uns für die Zeitschrift
bringt, zeigt jedenfalls, in wie weite Kreise das Verständnis und das Inter-
esse für die Psychoanalyse gedrungen ist und dies mag Dir, l. Ernest, vielleicht auch
ein Trost gegenüber der neuerlichen vorübergehenden Hetzwelle in England sein.Was Deine Begründung für die Nichtveröffentlichung des Heiligen Geist
im Journal betrifft, so legen wir unter diesen Umständen keinen Wert mehr
darauf, sind dagegen gerne bereit, die deutsche Übersetzung in Imago zu veröffent-
lichen. (Ist es richtig, daß wir die Übersetzung von Frau Kitty bekommen?)
Vorher möchten wir jedoch die Übersetzung von „Adolescence“ in Imago brin-
gen und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die nächste Nummer von Imago (das
1. Heft des 9. Jahrganges) eine pädagogische Sondernummer werden soll mit einer
Arbeit von Aichhorn, einer von Bernfeld, einer von Melanie Klein und eventuell von
Hug-Hellmuth („Kinderecke“). In diesen Rahmen würde nun Dein Artikel sehr gut
passen. Wir würden ihn im Laufe des Dezember brauchen und bitten um Mitteilung,
ob Frau Kitty in der Lage wäre, auch diese Arbeit zu übersetzen, oder ob wir
sie hier übersetzen lassen sollen.Mit herzlichen Grüßen
[Rank/Freud]