• S.

    Nr. 3
    Wien, am 21. 1. 1921

    Liebe Freunde!
    Wir bestätigen den Empfang von Berlin, Budapest und London Nr. 2.
    Auf die einzelnen Berichte ist diesmal nicht viel zu antworten, dafür
    ist etwas mehr von hier zu berichten.

    Ad Berlin: Bezüglich des Beitrags von Blumenthal (nicht Rosenthal
    wie Du, lieber Abraham, Dich verschrieben hast) und die daran weiter ge-
    knüpften Erwägungen, können wir nur erwidern, daß doch die Persönlichkeit 
    des Autors über Annahme oder Nichtannahme eines Artikels nicht entschei-
    den kann, da wir sonst auch gegen manche unserer eigenen Mitarbeiter die-
    ses Prinzip gelten lassen müßten, was doch nicht gut angeht. Daß beispiels-
    weise Peine ein schwerer Neurotiker ist, der in Behandlung stand oder 
    steht, kann doch den Wert seines Beitrages, den der Professor gelesen und 
    für mitteilenswert befunden hat, nicht beeinträchtigen. Selbstverständlich 
    soll alles geschehen, um Mißgriffen nach dieser Richtung hin, die ja viel-
    leicht auch nicht zu vermeiden ist, vorzubeugen.– Den von Sachs am Schluß 
    des vorigen Briefes versprochenen Bericht über das Referatenwesen, ver-
    missen wir bisher.

    Ad London: Wir danken Dir, lieber Jones, für Deine interessanten Be-
    richte über die Zeitungskampagne und können Dir, wenn Du dessen bedarfst, 
    den Trost geben, daß wir gegen derartiges ganz abgehärtet sind und ihm 
    vollkommen gleichgültig gegenüberstehen; aber vielleicht ist das in
    London anders. Jedenfalls scheint es bemerkenswert, daß Hiller sz. auf ein
    Inserat in einer Londoner Tageszeitung, nicht eine einzige Journalbestel-
    lung bekommen hat, während die letzten Tage 16 Abonnements gebracht haben; 
    eine offenbare Wirkung der Kampagne. (Übrigens lege ich Dir, lieber Jones, 
    einen Ausschnitt aus dem Eastern Province Herald in Port Elizabeth,
    Südafrika, bei, den mir gestern mein Patient aus begreiflichen Gründen
    brachte; er hatte mir übrigens schon früher wiederholt erzählt, daß in 
    Kapstadt in Universitätskreisen großes Interesse für die Ps.A. herrscht.)

    Die Reports der britischen Gruppe haben wir erhalten, sie sind
    bereits übersetzt, nur haben wir uns erlaubt, die uns nicht besonders
    zweckmäßig erscheinenden Bemerkungen über den schlechten finanziellen
    Stand der Press-Verlag wegzulassen und würden das auch für das Journal
    besonders empfehlen. Es ist wirklich nicht nötig, daß unsere verschiedenen
    Gegner in Amerika und England derartiges erfahren, noch dazu, wo es heute
    längst überholt ist und in dieser knappen Fassung überhaupt nicht Ein-
    blick in die Kompliziertheit der Verhältnisse gestatten kann.

    Die redaktionelle Anmerkung zu Berkeley-Hill’s Artikel ist der
    Professor bereit sz. der Arbeit hinzuzufügen.

    Die Zeitschrift, die von Nr. 2 dieses Jahrganges an in Wien ge-
    druckt wird, soll Deinem Wunsch, lieber Jones gemäß, besser
    geheftet werden.

  • S.

    Bezüglich Strömme lehnt der Fond es ab, sich mit einem so kon-
    fusen Menschen einzulassen. Bezüglich des von ihm erwähnten Dr. 
    Geijerstam in Göteborg ist zu bemerken, daß dieser im letzten Heft der
    Moll’schen Zeitschrift, Psychotherapie, einen Artikel über die Ps.A. der
    Züricher Schule veröffentlicht hat, ziemlich Jungisch; Oberholzer hat 
    sich bereit erklärt, eine Kritik, resp. eine richtigstellende Erwiderung
    dagegen für unsere Zeitschrift zu liefern.

    Wir hoffen, daß der Rundbrief bezüglich der bibliographischen
    Zentrale von London abgegangen ist, damit Reik seine Tätigkeit bald
    beginnen kann.

    Wien: Die Unterhandlungen mit Kola sollen jetzt bald ernsthaft 
    beginnen (da jetzt erst sein Verlag und dessen Direktor existieren,
    mit dem ich unterhandeln soll). Die Sache tritt jetzt deutlich in ein
    zweites Stadium des Widerstandes, während bisher sich nur die Über-
    tragung geäußert hat. Im Zusammenhang damit wird jedenfalls die Frage
    einer weiteren Arbeitskraft für den Verlag höchst aktuell, gleichgül-
    tig ob wir zu Kola kommen oder nicht. Es handelt sich nicht so sehr
    um einen Ersatz für Reik, der auf jeden Fall geschaffen werden muss,
    als vielmehr um eine mich entlastende Arbeitskraft, da der jetzige
    Zustand unhaltbar ist und beiden Teilen -nämlich dem Verlag und mir-
    zum Schaden zu gereichen dreht. Wir haben schon früher im Einvernehmen
    mit Ferenczi für diese Stelle. welche ein Zusammentreffen verschiedener
    Qualifizierungen bedingt (kommerziell, psychoanalytisch etc.) an Dr. Radó, 
    den Sekretär der Budapester Gruppe gedacht, der vor einigen Monaten auch 
    dazu bereit schien. Doch erschwert bei ihm die Übersiedlungs- resp. 
    Wohnungsfrage das Problem wesentlich. Vor kurzem hat sich nun eine neue 
    Möglichkeit ergeben, die uns ebenso erwünscht wäre und bei der die ge-
    nannten Schwierigkeiten wegfallen. Dr. Bernfeld, Mitglied unserer Gruppe, 
    ein ungewöhnlich begabter und ps.a. wirklich geschulter Pädagoge, durch-
    aus verläßlicher Charakter, der sonst ständig in Wien wohnt, war jetzt 
    für etwa ein halbes Jahr in Deutschland bei einem großen Verlagsunter-
    nehmen tätig und muß aus Gesundheitsrücksichten im Frühjahr nach 
    Wien zurückkehren, da seine materiellen Verhältnisse den Aufenthalt in 
    Deutschland nicht gestatten. Der Professor ist für den Plan sehr eingenom-
    men und auch ich würde mich sehr freuen und etwas aufatmen können, 
    wenn die Sache zustande käme.

    Sachs’ Referat über Groddeck haben wir zwar erhalten, würden aber
    dennoch Dich, lieber Ferenczi, bitten, Dein angebotenes Referat zu schreib-
    en, da wir mit dem Sachs’schen nicht ganz einverstanden sind und hoffen, 
    daß Deines uns besser zusagen wird. Überhaupt hat das Groddecksche Buch 
    auch im engeren Kreis – oder vielleicht gerade in diesem – eine uns 
    überraschende Aufnahme gefunden. Von der Schweiz hat sich bereits 
    durch Pfisters liebenswürdig-verbindliche Vermittlung eine Entrüstungs-
    welle über uns ergossen und auch die Berliner scheinen nicht entzückt, 
    obwohl wir gerade von ihnen hofften, daß sie dem Humor gerecht werden 
    könnten. Von den Schweizern wundern wir uns natürlich nicht über diese 
    Reaktion nach den Berichten, die Sachs uns von ihnen gegeben hatte. 
    Dem Referat von Sachs können wir den Vorwurf nicht ersparen, daß es 
    – bei aller Richtigkeit dessen, was er sagt, im Ton und in der Anordnung 
    unfreundlich ist, da Sachs

  • S.

    zuerst tadelt, daß das Buch in seiner Kunstform als Roman schwach sei
    und erst später mit dem Lob herausrückt, daß es eigentlich gar nicht
    als Roman beurteilt werden dürfe. Das Urteil des Professors, das ja
    selbstverständlich vor der Publikation eingeholt wurde, geht dahin,
    daß das Buch mindestens so viel Kunstform aufweise wie z. B. Gargantua
    und daß es verdiene, den Werken von Rabelais an die Seite gestellt zu
    werden.

    Daß wir das Buch von Varendonck über die Psychologie der Tag-
    träume publizieren, haben wir, glaube ich, schon mitgeteilt. Das Über-
    setzungsrecht vom englischen Verleger ist uns bereits zugesichert. –
    Von Einläufen ist diesmal nur der 2. Teil der Homosexualitätsarbeit
    von Boehm zu melden (Über die infantile Vorstellung vom versteckten
    Frauenpenis), deren Idee gewiß richtig und interessant, deren Ausar-
    beitung aber durch (narzißtische? Autoanalyse) Materialanhäufung 
    schwer verständlich ist. Wir werden ihm entsprechende Kürzungen vorschla-
    gen und ersuchen um eventuelle narkotische Beschwichtigungen. Dagegen
    ist mein Jahresberichtreferat natürlich immer noch nicht fertig.
    Eingegangen sind weiterhin das Sammelreferat von Hermann, Budapest,
    über die allgemeine psycho. Lit., welches sehr gut zu sein scheint,
    Ferenczis ergänzendes Referat und die Referate von Reik (mit Ausnahme
    des Ubw., an dem er noch arbeitet). Die noch ausstehenden Ref. werden
    daher immer dringender. Saussure, welcher die französische Lit. über-
    nommen hat, brachte sein Referat nach Wien, welches, etwa 50 Nummern
    umfassend, in etwa 3 Wochen fertig gestellt war. Im übrigen hat er auch
    eine große Anzahl neuerer französischer Erscheinungen für Imago und
    Zeitschrift besprochen und von Oberholzer auch eine Reihe deutscher
    Referate der Schweizer Gruppe mitgebracht.

    Von englischer Literatur, die im übrigen regelmäßig via Hiller 
    direkt an Jones geleitet wird, nennen wir hier nur 2 Bücher, die der 
    Professor zugesandt erhielt: An American Idyl. The Life of Carlton 
    Parker by Cornelia Parker (His wife), Boston, The Atlantic Monthly Press,
    (welches Euch Herr Wertheimer geschickt hat); ferner von Coriat,
    Repressed Emotions, New York Brentanos.

    In der Angelegenheit Brill legen wir die Abschrift eines Brie-
    fes bei, welchen der Professor als Ultimatum an ihn gerichtet hat.

    In der Angelegenheit des schäbigen Dr. Mackenzie hat der immer
    schäbiger werdende Pfister den Antrag an mich weitergeleitet, daß
    Mackenzie – offenbar nach dem Muster seines Patrons Pfister – zwar
    Mitglied bleiben, jedoch das Abonnement nur in Kronen zahlen wolle.
    Ich habe die Kompetenz abgelehnt und ihn an die Zentrale gewiesen, die 
    hiermit gehalten wird, allen derartigen Bestrebungen mit der entschiedens-
    ten Ablehnung entgegenzutreten. Pfister selbst hat sich sogar dazu 
    aufgeschwungen, seinen Freund als Krämerseele zu charakterisieren.

  • S.

    Bezüglich der Komiteesitzung läßt der Professor sagen, daß er
    sehr dankbar für die von allen Beteiligten geäußerte Rücksichtnahme
    ist und diese gerne als das schönste Geburtstagsgeschenk akzeptiert.
    Er beginne die Schwere der Arbeit ziemlich stark zu spüren und würde
    großen Wert darauf legen, daß seine Sommerferien nicht gestört würden,
    wenn auch dadurch einzelnen von uns Unannehmlichkeiten erwachsen. Er
    bekenne sich offen zu diesem Egoismus des Alters, der ein Vorrecht des-
    selben sei. In der letzten Septemberwoche würde er die Zusammenkunft
    wünschen, über den Ort könne man sich später, wenn die Sommerpläne aller
    Beteiligten feststehen, leicht einigen.

    Mit herzlichen Grüßen

    [Rank Freud]