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S.
18. Februar 1923
Liebe Freunde!
Leider verspätet sich auch dieser Brief um einige Tage, da
es mir in der Regel nur am Sonntag möglich ist, die Zeit zum Schreiben zu er-
übrigen. Im Verlag gibt es jetzt mehr interne Arbeit, die sich aus der teil-
weisen Um- und Neuorganisation und allem, was damit zusammenhängt, ergibt. Stor-
fer wird voraussichtlich anfangs März wieder hinausfahren, um dort weitere
Schritte zu veranlassen. Vielleicht wird es sich auch notwendig oder für uns
zweckmäßig erweisen, in Deutschland eine neue Firma zu gründen, doch müssen
wir uns erst darüber informieren, ob es praktischer und vorteilhafter ist,
die Hauptfirma hier und die Filiale draußen zu haben oder umgekehrt. Im Fal-
le der Neugründung draußen werden wir natürlich die Gelegenheit benützen,
um Dich, l. Max, auch offiziell in die Firma aufzunehmen, was bekanntlich bei
der hier schon bestehenden Gs.m.b.H. gewisse Schwierigkeiten hat. Natürlich
würden im Falle einer Neugründung alle Beteiligten Gelegenheit zur Äuße-
rung und zu Vorschlägen haben und wir werden uns freuen, wenn schon jetzt da-
zu prinzipiell Stellung genommen würde, damit wir für jeden Fall vorbereitet
sind. Wir glauben auch, daß in der deutschen Firma, ob sie nun eine Neugründung
sein wird oder nicht, auf jeden Fall auch die Stellung Storfers eine prominen-
tere sein wird, da er ja praktisch den ganzen Verlag draußen leiten wird.Die Press ist mit ihrem Abbau beschäftigt und soll programmmäßig bis
Ende März hier liquidiert haben. Inzwischen wird die gegenseitige Abrechnung
nochmals genau geprüft, wobei sich ein für die Press günstigeres Resultat
erzielen zu lassen scheint. Das Memorandum, das Rickman für die Neuorganisation
der Press ausgearbeitet hat, fanden wir sehr vernünftig und zweckmäßig und
ich habe ihm auch in diesem Sinne geschrieben, daß wir damit einverstanden
sind.In der Geschichte der psa Bewegung ist ein bedeutsamer Markstein zu
verzeichnen, der sozusagen die Kanonisierung der Psa betrifft. In den kürz-
lich erschienenen drei Nachtragsbänden der Encyclop. Brit. über die Kriegsjah-
re hat die Psychoanalyse mehrfache Würdigung gefunden, was sie unmittelbar der Tatsache
verdankt, daß Prof. Pribram, der langjährige Freund des Professors, den Öster-
reich betreffenden Teil übernommen hatte. Soviel wir sehen konnten, erscheint die
Psa an vier Stellen ausführlich gewürdigt. Vor allem in einer kurzen Biogra-
phie des Professors (nebst bibliographischen Hinweisen, die allerdings nicht
immer ganz verlässlich sind); 2. ist sie unter „Medicin“ ausführlich und positiv
gewürdigt; 3. noch positiver und eingehender unter „Psychical Research“, al-
so als psychol. Untersuchungsmethode und endlich steht das Meiste und Beste
darüber unter „Psychotherapy“.
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S.
In der Angelegenheit Spielrein hatte der Professor Nachricht von Frau S.
selbst in einem intimen Schreiben, worin sie zwar die persönliche Liebenswür-
digkeit und Hilfsbereitschaft der Genfer gegen sie anerkennt, aber ihre Ge-
samtreaktion auf starke Widerstände gegen die Analyse zurückführt. Sie
schreibt, vor mehr als zwei Wochen, daß sie etwa 2 Monate noch durchzuhalten
hofft, dann aber – auf einen Rat der Oberholzer – nach Rußland zu gehen ge-
denkt.Was Dr. Bornstein betrifft (ad London), so ist er zwar der einzige Ana-
lytiker in Warschau, versteht aber so viel wir wissen in Wirklichkeit so we-
nig davon, daß er als solcher nicht in Betracht kommt.Dr. Meng schickte kürzlich dem Prof. eine kleine Arbeit über die Angst
bei Intoxikation und beim Neurotiker (Deut. Zschr. f. Homöopath., Febr. 1923),
die recht klug und vorsichtig ist. Der Prof. meint, daß man den hier von Fe-
dern analysierten Kollegen, der ein hochanständiger Mensch zu sein scheint,
in die Berliner Gruppe aufnehmen könnte, auch wenn er keinen Vortrag gehalten
hätte, um so mehr, als er sonst vielleicht der berüchtigten süddeutschen Grup-
pe in die Arme getrieben werden könnte (er lebt in Stuttgart).Am letzten Mittwoch hatten wir unser Prager Mitglied Frl. Teller zu Gast,
die uns von dem erfreulichen Fortschreiten des Interesses für die Psa. in
der Tschecho-Slovakei berichtete und bedauerte, daß es infolge persön-
licher Schwierigkeiten in Prag nicht zur Gründung der Ortsgruppe kommen kön-
ne, die dort schon seit langem geplant werde und in Ossipow und Pötzl,
der jetzt Professor in Prag ist, zwei entsprechende Persönlichkeiten besitzt.
Dagegen konnte sie den Eifer und die Tüchtigkeit von Stuchlik nicht genug
rühmen, der in Kaschau die Psychiatr. Abteilung leite und mit den dortigen
Ärzten eine regelrechte psa Gruppe inauguriert habe. Auch in der Literatur
bewähre sich Stuchlik als Verfechter und Vertreter der Psa.Aus der Literatur ist erwähnenswert: der 2. Band der spanischen Gesamt-
ausgabe (enth. Sexualtheorie, 5 Vorlesungen, kleinen Traum und Jenseits), dem der
3. Band bald (Ende März) folgen soll (Witz und Gradiva). –Von Flournoy erschien in den Archives von Claparède eine Arbeit über „Civa
androgyn“ – eine Frucht von Fl. indischer Reise, die er vorher der Imago ange-
boten, aber bald wieder zurückgezogen hatte. – Ferner ein Buch von Zeller über
Knabenweihen (bei Haupt in Bern), das ganz auf psa Gesichtspunkten (Reiks Pu-
bertätsriten) fußt.Von Manuskripten ist zu erwähnen eine Studie über das Kostüm von
Luria (in Kasan), die aber nicht sehr gelungen ist.Mit herzlichen Grüßen
[Freud/Rank]