• S.

    W i e n 1
    am 1. Januar 1921

    Liebe Freunde!
    Wiener Sitte gemäß beginnen wir das Neue Jahr mit einem herz-
    lichen »Prosit«!

    Wir bestätigen den Empfang von Budapest 10, Berlin 11 & 12 und
    London 12. –

    In der Frage der Brieftage wollen wir doch bei Abrahams Vor-
    schlag, an jeden 1., 11. und 21. zu schreiben, festhalten; die anderen Vorschlä-
    ge erscheinen uns aus verschiedenen Gründen nicht so zweckmäßig. –

    In der Kongreßfrage pflichten wir Jones bei und würdigen sei-
    ne Argumente vollauf. Es ließe sich noch hinzufügen, daß es mit Rücksicht
    auf die Kollegen aus den Ententeländern überhaupt besser wäre, einen grös-
    seren Grad von allgemeiner Sicherheit der Verhältnisse abzuwarten, ehe man
    sie zu einem Kongreß auf dem Gebiet der Mittelmächte einlädt. So wenig wir
    uns hier in Wien getrauen würden, unter den jetzigen Verhältnissen einen
    Kongreß einzuladen, der in jedem Moment durch die verschiedensten Streiks
    und sonstigen Unsicherheiten gefährdet wäre. Für Berlin sollten eine Reihe
    von internen Gründen noch als besondere Abhaltungsgründe die Überarbei-
    tung all derer, die den Kongreß vorzubereiten hätten, und unter denen sich
    ein auch für diese Zwecke nicht gerade geeigneter Sekretär befindet sowie
    last not least der Gesundheitszustand Abrahams, der wohl besser der Schonung
    bedürfte. Im Ganzen scheint ja auch nach den letzten Briefen die Majorität
    unseres Komitees gegen die Abhaltung des Kongresses in diesem Jahre (1921).

  • S.

    Der Termin der Komiteesitzung, die unbedingt in diesem Jahre stattfinden soll,
    scheint noch sehr der Diskussion zu bedürfen, da die verschiedenen Spezial-
    wünsche auseinandergehen. Dem Professor würde die Abhaltung anfangs Septem-
    ber störend mitten in seine Ferien fallen; er ist aber jedenfalls auch gegen
    die Abhaltung im Frühjahr, die Jones mit sehr richtigen Argumenten widerlegt
    hat. Auch mir (Rank) wäre eine Unterbrechung meines Urlaubs anfangs September
    nicht sehr angenehm, da ich heuer eine gründliche Erholung von wenigstens
    zwei Monaten brauchen werde, um wieder einigermaßen ins Gleichgewicht zu
    kommen: sowohl meine Frau als auch ich haben seit mehreren Jahren keine rich-
    tigen Ferien gehabt. –

    ad Berlin: Was den Fall Blumenthal betrifft, so haben wir nicht
    ge-
    glaubt, durch Aufnahme einer kurzen Mitteilung in die Zeitschrift irgend
    ein Präjudiz nach einer Richtung zu schaffen, und es wurde eine solche Tat-
    sache auch bisher noch nie in diesem Sinne ausgenützt. – Sie soll auch eine
    Gruppe weiter in keiner Weise beeinflussen, sondern diese muß sich allein
    von den persönlichen Qualitäten des betreffenden Aufnahmebewerbers leiten las-
    sen. – Was den Kontakt mit den anderen Zeitschriften Redakteuren betrifft, so 
    stimmen wir Dir, l. Abraham hierin vollkommen bei und lassen Dir ja auch die
    Bürstenabzüge der Zeitschrift zur event. Begutachtung zugehen. Natürlich ist
    es aber im einzelnen Fall nicht immer möglich oder geboten, das Votum der
    Mitredakteure einzuholen. Den Artikel von Blumenthal haben wir aufgenommen,
    weil es erstens überhaupt nur eine Kleinigkeit ist, dann weil nichts dagegen
    einzuwenden war und die Redaktion sich ja nicht apriori mit jedem abgedruck-
    ten Artikel identifiziert. Auch ist es im Interesse der Leser, auf die man ja
    doch auch rechnen muß, mitunter angebracht, die Monotonie unserer orthodoxen
    Beiträge zu durchbrechen, natürlich innerhalb gewisser Grenzen.

  • S.

    – 2. Januar 1921

    Wir gedenken übrigens in einer der nächsten Nummern wieder zwei nicht durchaus
    klassische Beiträge zu bringen, von denen aber die Bürstenabzüge versandt werden.
    Um auf den Fall Blumenthal zurückzukommen: es läßt sich natürlich nicht im
    Voraus bei Annahme eines Artikels sagen, welche Entwicklung dessen Schreiber
    nehmen wird und es scheint uns zweifelhaft, ob Du l. Abraham, seinerzeit an der
    Publikation dieser Kleinigkeit Anstoß genommen hättest, wenn Du den Autor nicht
    als Kandidaten betrachtet hättest. Im übrigen wird ja die Ankündigung des
    Manuskripteneinlaufes den Mitredakteuren schon vor Einlangen der Bürstenabzü-
    ge einen Einspruch ermöglichen. Bei den oben genannten beiden Arbeiten handelt
    es sich um den Wiener Dozenten und Spracharzt Fröschels, sowie um die Arbeit
    eines Herrn Siegfried Peine in Hamburg, der übrigens schon einmal etwas bei uns
    publiziert hat. –

    Wir möchten gerne von Sachs etwas über die Referateverteilung
    hören, um so mehr als sich Budapest längst gemeldet hat. Auch erwarten wir von
    Dir, l. Sachs, Mitteilungen über das eingelangte Bücherlager und die Verkaufs-
    möglichkeiten. – Einbanddecken zu alten Jahrgängen von Zeitschrift und Imago
    haben wir jetzt anfertigen lassen; wir bitten um Angabe (an den Verlag direkt!),
    welche gewünscht werden und in welcher Anzahl!

    Reik hat sich nach Mitteilung der vorläufig ablehnenden Haltung
    Berlins entschlossen, bis auf weiteres hier zu bleiben. Sollte seine Übersied-
    lung doch von Berlin aus möglich werden, so müßte natürlich die größte Schwie-
    rigkeit, die Wohnungsfrage erst in positiven Sinn gelöst sein. –

    ad London. Unter diesen Umständen verzichten wir auf die Überset-
    zung von Kolnai, möchten aber doch das von Jones vorgeschlagene große

  • S.

    Referat erscheinen lassen. Wie steht es mit dem Korrespondenzblatt der
    Londoner Gruppe? Können wir den Bericht bis Mitte Januar haben? Und sind
    keine Berichte von Amerika eingetroffen?

    Wien: Redaktionsschluß für die beiden ersten Hefte des neuen
    Jahrganges von Zeitschrift und Imago ist Mitte Januar. Bis dahin möchten
    wir auch den bereits verlangten Bericht der Berliner Gruppe
    ab März samt Mitgliederliste. Was die Literatur betrifft, so hat Dr. Voll-
    rath in der Landesirrenanstalt Teupitz sich bereit erklärt, die psychia-
    trische Literatur ständig für die Zeitschrift zu referieren und auch die
    bedeutendsten psychiatr. Zeitschriften, die er in der Anstalt sieht.
    Vielleicht gibst Du,
    l. Abraham, ihm beim nächsten Jahresbericht die Psychiatrie ab, nach-
    dem wir sehen werden, wie er sich als Referent macht; die uns einge-
    sandte Probe war sehr zufriedenstellend. Ferner hat sich Hattingberg angebo-
    ten, die nicht psa. therapeutische Literatur zu ref. und hat bereits einige 
    Bücher zu dem Zwecke erhalten. Es ist doch wertvoll, wenn sich hierzu auch 
    neue Kräfte melden, selbst auf die Gefahr, daß es unsystematisch gemacht 
    wird.– Die russische Literatur für den Jahresbericht hat Frau Dr. Spiel-
    rein gemacht; das Ref. leidet nur darunter, daß ihr vieles unzugänglich war. 
    Vielleicht wäre Frl. Dr. Neiditisch, die schon 1910 im Jahrbuch über die russ. 
    Lit. referiert hat, geneigt und geeignet, diesen Bericht aus ihrer unmittel-
    baren Kenntnis zu vervollständigen. Wir bitten, sie zu fragen, und werden
    ihr jedenfalls bald von den bisherigen Berichten einen Bürstenabzug senden,
    damit sie sieht, was vorliegt. – Auch von der übrigen Literatur ist manches
    zu berichten, doch erspare ich mir das, weil ich es ohnehin für die Zeit-
    schrift schreiben muß und dann in der Lage bin, jedem Brief einen Bürsten-
    abzug oder zwei beizulegen. –

    Im Wiener Verein hatten wir kurz vor Jahresschluß den Gastvortrag 
    eines Kandidaten Dr. Robert Hans Jokl, der sich sehr vorteilhaft mit 
    einem inhaltsreichen Vortrag über den Schreibkrampf einführte. Er zeigte, 
    wie der Schreibkrampf auf der abnormen Verdrängung der Urethralerotik be-
    ruht. Das Schreiben ist einfach ein Symbol des Urinierens. Die Funktion der 
    Urethralerotik wird für das Schreiben gepachtet, genau so wie nach der 
    Auffassung des Professors für das Stottern die Analerotik. –

    Mit herzlichen Grüßen
    [Rank Freud]