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    Wien, am 4. Januar 1924

    Liebe Freunde!

    Ich freue mich, das Neue Jahr mit der guten Nachricht eröff-
    nen zu können, daß der Professor wieder hergestellt ist und seine Arbeit
    bereits aufgenommen hat.

    Eine besondere Freude wurde für uns alle, daß auch anläss-
    lich des Vortra­ges, den Sándor hier am letzten Mittwoch gehalten hat, der Prof.
    zum ersten Mal wieder den Vorsitz in der Vereinigung führte. Sándor leitete
    hier eine Diskussion über unsere gemeinsame Arbeit („Entwicklungsziele“) ein,
    die sehr anregend verlief (bei der Sitzung waren drei „Berliner“ anwesend,
    die ja vermutlich ihre Eindrücke mündlich referieren werden). 

    Als weitere erfreuliche Neuigkeit vom Verlag kann ich mit-
    teilen, daß es uns gelungen ist, das Weiterbestehen der „Imago“ zunächst zu 
    ermögli­chen, die nur im Umfang verringert und in unregelmäßigen Intervallen 
    erscheinen wird. Damit ist auch die vorwurfsvolle Anfrage der holländi­schen 
    Gruppe praktisch erledigt, die offenbar darüber gekränkt waren, daß wir (Herr 
    Prof. und ich) es abgelehnt hatten, zu einem akademischen Jubiläum von Jel-
    gersma eine eigene Festnummer der Zeitschrift heraus­zugeben. Dagegen haben 
    wir uns auf eine neuerliche Anfrage bereiter­klärt, einen von der holl. 
    Gruppe abzuliefernden Jubiläumsaufsatz s. Z. zu veröffentlichen.

    Außerhalb des Verlages ist ein Buch von Wittels erschie-
    nen, das unter dem Titel: „Sigm. Freud, der Mann, die Lehre, die Schule“, auf eine 
    Ver­herrlichung von Stekel hinausläuft und meiner Empfindung nach ge­schmack- 
    und taktlos ist. Herr Professor findet es nicht so schlecht, als er es von 
    der Seite erwartet hätte, fand dagegen eine Reihe von sachlichen Unrichtig-
    keiten zu korrigieren.

    ad Berlin: Wir stimmen Dir, l. Karl, mit Deinen Bemerkungen 
    über Laforgue vollkommen bei und glauben auch, daß Ernest etwas voreilig
    und zu sehr entgegenkommend war. Wie zu erwarten hat Laforgue übrigens sich 
    entschlossen, zunächst von dem Anerbieten des Beitritts keinen Gebrauch zu 
    machen, wie die Sokolnicka hierher gemeldet hat. Im übrigen wäre es am Platze 
    gewesen, daß Du l. Ernest Dich vorher über Laforgue erkundigt hättest, zumin-
    dest im Rundbrief, wobei Du erfahren hättest, daß er noch in Analyse ist 
    (bei Sokolnicka); Du hättest Dich dann über ihn und seine Motive bei seinem 
    Analytiker erkundigen können.

    Was Deine spanischen Pläne betrifft, so kennt der Prof. sei-
    nen Über­set­zer aus dem brieflichen Verkehr als einen sehr liebenswürdigen 
    Men­schen, rät Dir aber, sich bei Max näher zu erkundigen, der ihn persönlich
    kennen gelernt hat (er ist übrigens nicht Mediziner).

    Noch etwas Persönliches: Mr. Moxon, der jetzt von seinen psa.
    Studien in Berlin zurückgekehrt ist, hat unter deutlichen Zeichen von Wider

  • S.

    Widerstand, der sich nicht nur gegen mich als sein ehemaliger Analysator rich-
    tete, mitgeteilt, daß er in Berlin von verschiedenen Kollegen, deren Namen mir
    auch bekannt sind, über die Art seiner Analyse bei mir, bzw. meine Technik 
    ausgefragt wurde, was an sich schon sonderbar anmutete. Außerdem glaubte
    er aber an den Reaktionen seiner Interviewer deutliche Zeichen von Miss-
    billigung meiner Technik zu bemerken, was ihn natürlich nach verschiedenen
    Richtungen unsicher machte und bestimmt den Erfolg seiner Berliner Studien,
    vielleicht auch den seiner Analyse beeinträchtig­te. Mir persönlich ist es
    ganz gleichgültig, was Kollegen über meine Technik denken oder sagen; aber
    ich halte 1. diese Art des analytischen „Spitzeltums“ für unfair und 2. für 
    unverantwortlich einem eben aus der Analyse Entlassenen gegenüber. – Es bleibt
    mir nach der Erfahrung mit Mr. Moxon nichts anderes übrig, als die Konsequenz 
    zu ziehen, keinen meiner Analysanden mehr zur Ausbildung nach Berlin
    zu schicken.

    ad London: Nachdem wir aus Rickmans Gegenvorschlag ersehen
    haben, daß keine prinzipiellen Differenzen bestehen, hoffen wir bald zum 
    Abschluß des allgemeinen und der gewünschten Spezialverträge (über die vier
    bereits übersetzten Werke) zu gelangen. –  

    Mit den besten Neujahrswünschen  
    [Freud/Rank]