• S.

    Wien, den 21. Februar 1922.

    Liebe Freunde!

    Dieser Brief geht leider wieder verspätet ab, da ich
    jetzt so überlastet bin, dass ich nur den Sonntag zum Schreiben
    verwenden kann. Auch der nächste Rundbrief wird nicht pünktlich
    sein können, da wir am 1. März Vereinssitzung haben und ich voraus-
    sichtlich vorher mit dem Professor nicht zusammenkomme.

    Der Verlag hat endlich ein Lokal bekommen, welches
    wir im Laufe des nächsten Monats beziehen werden und welches uns
    nach jeder Richtung hin, Gelegenheit zur Expandierung geben wird;
    Einrichtung und Ausgestaltung des Verlages erfordern natürlich
    grössere Geldmittel, die jedoch vom Fond eben für diese Zwecke ge-
    stellt waren. Zunächst erscheinen im Verlag die 3 längst angekündi-
    gten Bücher: Ferenczi, k[leine] Populäre Vorträge; Varendonck, 
    „Vorbewusstes Denken“ und „Vom Gemeinschaftsleben der Jugend“, 
    herausgegeben von Dr. Bernfeld. Ausserdem sind wir mit zahlreichen
    Neuauflagen beschäftigt. Von neuen Manuskripten erwähnen wir eine
    kleine Arbeit vom Professor: über Traum und Telepathie, die 
    im 1-ten Heft von Imago erscheinen wird. Sie ist nicht identisch
    mit dem Komitee-Vortrag vom letzten Herbst. Die ausgezeichnete Paralysen-
    arbeit von Ferenczi und Hollós planen wir als Beiblatt zur Zeitschr,
    herauszugeben. Ferner hat Reik ein Buch-Manuskript: „Der eigene und der
    fremde Gott“ abgeliefert, das in Imago-Bücherei erscheinen soll, deren
    erster Band Ossipows Tolstoi Analyse sein wird. Dr. Feldmann in Buda-
    pest bietet uns eine Arbeit über Schwangerschaftsneurosen an (weisst
    Du etwas darüber, l. Ferenczi?). De Saussure gegenwärtig Anstaltsarzt
    in de Cerry bei Lausanne, der vor kurzem beim Professor in der Analyse
    war, hat eine These „La technique de la Psychanalyse“ geschrieben,
    deren Manuskript er vor der Publikation dem Professor zur Beurtei-
    lung eingeschickt hat. Professor findet die Arbeit sehr gelungen
    und hat ein entsprechendes Vorwort dazu geschrieben. – Von der
    Traumdeutung bereitet Deuticke die 7-te Auflage vor (u. zw. in 3–4 Tau).

    Zum Abschluss der Affäre Schilder möchten wir noch bemerken,
    dass dieselbe in der letzten Sitzung äusserlich beigelegt wurde,
    wobei sich Schilder aber doch eine deutliche Rüge geholt hat.

    ad Bln. Was den Kongress betrifft, so sind wir mit den von Berlin
    vorgeschlagenen Daten 25. – 27. einverstanden, waren aber ebenso
    wie Abraham von der Festsetzung des Londoner Datums überrascht,
    da auch wir uns nicht erinnern, dieses Datum fixiert zu haben
    (da inzwischen im Londoner Brief vom 21. auch Jones für das Datum
    vom 25. bis 27. eintritt, so glauben wir diese Frage im Sinne des
    Berliner Vorschlags entschieden.)
     

  • S.

    In der Frage des Diskussionsthemas konstatieren wir die
    allgemeine Übereinstimmung, kein solches anzusetzen. Was die weiteren
    Vorschläge Berlins anlangt, – um solche proposals und nicht arrangement
    handelt es sich, lieber Ernest – möchten wir dazu in folgender Weise
    Stellung nehmen:

    ad 1/  Wir sind absolut gegen die stenographische Aufnahme,
    u. zw. aus verschiedenen Gründen, vor allem, weil es uns gar
    nicht einfällt, sämtliche Vorträge zu drucken, oder gar
    jemanden auf diese Weise der Mühe der Niederschrift zu ent-
    heben, der nicht einmal diese Arbeit auf sich nehmen will,
    auf dessen Beitrag werden wir gerne verzichten. Aber auch
    vom Standpunkt des Verlages scheint uns der Berliner Vor-
    schlag direkt unzweckmäßig, da wir vor allem die Aufgabe 
    haben, die Zeitschriften zu versorgen, auch wenn der Ab-
    druck sich längere Zeit hinziehen sollte. Sich von vornhe-
    rein aber auf die Publikation der gesamten
    Vorträge festzulegen, halten wir nach jeder Hinsicht
    für verfehlt.

    ad 2/  Was die Finanzierung betrifft, so glauben wir, daß die
    Londoner Zentralkasse die von Abraham erwähnte Beihilfe
    von 10 Pfund wohl wird leisten können (was inzwischen
    im Londoner Brief vom 21. bestätigt wird). Sollte das
    nicht ausreichen, so wird natürlich der Fond einspringen,
    obwohl er gerade jetzt Grund hat, sich zu schonen, denn
    die Unterstützung des Kongresses gehört natürlich zu
    seinen Hauptaufgaben. Wir sind aber ganz entschieden dage-
    gen, daß ein Eintrittsgeld, noch dazu nach der Valuta
    abgestuft eingehoben werde; abgesehen von verschiedenen an-
    deren Gründen wäre auch der Kontrast mit der holländischen
    Gastfreundschaft zu stark und zu beschämend.

    ad 3/  Leider müssen wir auch in einem Punkte wir der opponieren:
    Die Idee nach einem ermüdenden Kongreß Vorträge zu ver-
    anstalten, heißt doch wohl einen Übereifer entwickeln,
    den wir umso weniger billigen können, als wir ja wissen, was 
    man in 20 bis 30 Minuten sagen kann. Auch halten wir die 
    Beschränkung auf das ärztliche Gebiet für undurchführbar.
    Was den Professor selbst betrifft, so meint er befürchten
    zu müssen, daß er bei einer Zusage Heiserkeit von Hei-
    serkeit befallen würde.

    Daß nicht alle im selben Hotel untergebracht werden können, bedauern 
    wir sehr, wir hätten eine zentrale Unterbringung
    vorgezogen.

    Was die ¼ jährliche Publikation der Vereinsberichte
    betrifft, sind wir wie bereits gesagt, damit einverstanden, möchten 
    nur zu bedenken geben, daß der Erscheinungstermin nicht sich nach 
    dem der Zeitschrift richten muß, und daß wir befürchten, daß dies 
    nicht klappen wird. Jedenfalls gebe ich Dir, lieber Ernest, schon heute
    bekannt, daß wir den Bericht fürs nächste Heft in der 3-ten März-
     

  • S.

    woche haben müssen.
    Eine Frau Dr. Gertrud Bondy in Brückenau (Nähe Würzburg)
    wird sich vielleicht um Aufnahme nach Berlin wenden. Sie war bei
    mir (Rank) letzten Sommer 3 Monate in Analyse und zeigte ganz
    gutes Verständnis. Ihre Analyse ist nicht beendet worden. Sie be-
    schäftigt sich aber mit ihrer weiteren theoretischen Ausbildung
    und hat auch selbst zu analysieren begonnen. (Sie hat ihr eigenes
    Sanatorium, wo sie auch Patienten aufnimmt.) Das Referat von Sad-
    gers neuem Buch, das Ferenczi zurückgelegt hat, ist frei. Sollen
    wir es Boehm übertragen? Oder ließe sich vielleicht doch ein
    geeigneter Referent finden.

    ad Lndn. 

    Was die Übersetzung der kl. Schriften anbelangt,
    so freuen wir uns, lieber Ernest, Dir einige Mitteilungen machen
    zu können, die hoffentlich die Sachen beschleunigen werden.
    Zunächst, daß auch der Professor nicht starr daran festhalten
    möchte, die Krankengeschichten zuerst zu publizieren. Dies jetzt
    umsoweniger, als Mrs. Strachey schwer erkrankt ist und eine mehrmo-
    natige Rekonvaleszenz nötig haben wird. Mit der Übersetzung selbst
    sind sie schon sehr weit, ja fast fertig, denn von den 5 Kranken-
    geschichten sind 3 schon reingeschrieben und 2 roh übersetzt. Wir
    bitten Dich also, lieber Ernest, ohne Rücksicht auf eine bestimmte
    Reihenfolge der Bände, möglichst rasch irgendeinen Band der kl.
    Schriften fertigzumachen. Von der technischen Seite werden sich
    keine Schwierigkeiten mehr ergeben, da wir jetzt eigene englische
    Typen (Schrift) und einige Waggons Papier besitzen. Als erster
    Erfolg ist bereits die Massenpsychologie innerhalb einer Woche
    ganz gesetzt worden und das Jenseits kann endlich gedruckt werden.
    Der bisherige Übelstand lag darin, daß entweder keine Schrift
    oder kein Papier da war, und ich erst allmählich bemerkte, daß
    Hiller nicht imstande sei, diese Schwierigkeiten zu bewältigen.
    Er ist, wie Du lieber Ernst einmal bemerkt hast, ein guter Detail-
    arbeiter, verliert aber dann leicht den Überblick über die großen
    Zusammenhänge. Ich hoffe, daß es uns durch gemeinsame Zusammen-
    arbeit gelingen wird, die von Dir genannten 5 Bücher, lieber Ernest
    bestimmt in diesem Jahr herauszubringen. Außerdem möchten wir
    aber unbedingt noch in diesem Jahr einen Band der kl. Schriften
    herausbringen, am liebsten die Technik, die ja wie Du schreibst,
    ohnehin schon fertig war. Mein Buch über die Träume kannst Du
    dafür definitiv aus dem Programm streichen, da es wie gesagt
    nicht mehr aktuell ist, und außerdem weder ich noch Hiller, die
     

  • S.

    geringste Zeit haben, sich damit zu beschäftigen. Das Referat über
    Forsyth haben wir Hiller für das Journal übermittelt. Die Fragen der
    Statuten und deren Vereinheitlichung überlassen wir lieber dem Kon-
    greß. überhaupt sind wir für möglichste Vereinfachung aller Ge-
    schäfte und Formalitäten. Was Abrahams Vorschlag über Standard-Fees
    betrifft, so bedauert der Professor, sich an eine solche Unterredung
    mit Abraham nicht zu erinnern, und kann nur versichern, daß ihm eine
    solche Idee vollkommen fern liegt. Wir können Jones Gründe dagegen
    nur vollkommen unterschreiben. Was die Frage der „sadistischen Auffas-
    sung“ betrifft, so ist das von einem engeren Zusammenhang mit dem
    Kastrationskomplex nichts bekannt. Die beiden Vorstellungen assozi-
    ieren sich nur häufig.

    Was das Manuskript von Schroeder betrifft, so getraut sich der
    Professor nicht, von der Publikation abzuraten. Der Kern der Arbeit
    ist interessant und gewisse uns störende Eigenheiten der Arbeit
    sind vielleicht das charakteristisch-amerikanische daran. Wenn er so
    sich entschließen wollte, die Einleitung etwas zu kürzen, und ins-
    besondere die vielen, fortwährenden Ankündigungen wegzulassen,
    könnte man die Arbeit ganz gut bringen.

    Last not least gratulieren wir zur indischen Gruppe, die
    doch früher als die Münchner zustande gekommen ist. Der Professor hat
    bei dieser Gelegenheit an Bose in Kalkutta einige anerkennende
    Worte über dessen „conception of repression“ geschrieben und
    gefunden, daß das Buch wirklich sehr gut ist. (Schroeders Ms. 
    geht l. Jones zurück.) Deine Anfrage über die Symbolik Insel-Frau
    kann ich leider nicht beantworten, da mir nichts darüber bekannt
    ist. Der Professor macht Dich darauf aufmerksam, daß dies eine
    spezifisch englische Symbolik sein könne. Insel-Mutter und daß
    Ferenczi vielleicht Näheres darüber wissen wird.

    Den Stekelschen Ausspruch sollte man dahin berichtigen,
    daß eine Laus auf dem Kopf eines Astronomen nicht mehr sieht, als
    der Astronom, der ins Fernrohr schaut.

    ad Bpst. 

    Frau Dubowitz bitte mit freundlichen Worten zu
    danken und sie aufzufordern, daß sie über ihre Fortschritte
    berichtet. Mit Deiner Verfügung ihr gegenüber sind wir natürlich
    voll einverstanden.

    Wir haben nicht die Absicht, uns durch die Ver-
    schleppungstaktik in den Publikationen hindern zu lassen,
    und da der Vertrag über genügend Expansionsmöglichkeiten verfügt,
    möchten wir doch mit einer von Ferenczi herausgegebenen ungarischen
    Psa Serie beginnen, u. zw. wollen wir zunächst die Vorlesungen,
    Massenpsychologie, Jenseits und das Tagebuch publizieren, event.
    auch den Witz. Wie weit steht es, lieber Ferenczi, mit der Über-
    setzung von Vorlesungen und Witz?

    [Rank/Freud]