S.
Wien, 21. Oktober 20
Liebe Freunde!
Wir bestätigen den Empfang der Berichte:2 London No II, Berlin No 2, Budapest No 2 (und 3 soeben während des Schreibens eingetroffen) und ersuche bei dieser Gelegenheit Ferenczi gleich, seine Berichte von nun fortlaufend zu numerieren. Berlin ersuchen wir um die Unterschriften auch der beiden anderen Herren, die offenbar im Interesse der raschen Versendung entfallen sind, auf die wir aber doch Wert legen. Da wir es auch hier so halten, daß der Professor die Briefe, die Rank am Donners- tag schreibt, mit unterzeichnet, so gehen die Wiener Briefe eigentlich erst am Freitag ab, welches der definitive Tag bleiben soll.3
Verlag: Keine besondere Neuigkeit. Zeitschrift VI/3 und Imago VI/4 werden in der letzten Oktoberwoche versandt. Die übrige Produktion geht weiter. (Über den Jahresbericht am Schluß näheres.) – Gestern brachte die Neue Freie Presse ein Feuilleton über das Tagebuch4 aus der Feder von Stefan Zweig5, das ziemlich Aufsehen machte und die Nach- frage nach dem Buch sichtbar steigerte. Es wird gewiß auch seine politi- sche Rückwirkung auf Kola nicht verfehlen, der eigentlich durch das Ta- gebuch auf unseren Verlag aufmerksam wurde. – Unser Verlag wird jetzt inventarisiert und bilanziert, vorher hat [es] keinen Sinn, mit Kola weiter zu verhandeln. Im allgemeinen ist immer noch Skepsis am Platze, von der ich eigentlich Ferenczi eine ziemlich starke Priese verordnen möchte. Ich hatte sie von Anfang an Kola gegenüber, nicht ohne Begründung, und habe sie heute immer noch. Bei der ersten Unterredung mit ihm hatte ich den Eindruck, es mit keinem hervorragenden Geschäftsgeist zu tun zu haben, was mit der Tatsache, daß er als reichster Mann in Österreich gilt, in keinem Widerspruch steht. Bei der zweiten Unterredung wurde ich in diesem Eindruck noch bestärkt, blieb mir aber bewußt, daß dies für den Abschluß unseres Geschäftes momentan nur von Vorteil sein kann. Ob für unsere Zukunft, weiß ich allerdings nicht. Denn aus dem Exposé seines Verlages, das ich heute empfing, spricht ein so krasser Dilettan- tismus, oder eine solche geschäftliche Naivität, daß sich dahinter unmög- lich eine besondere Geriebenheit verstecken kann. Auch sein mir freund- schaftlich zugetaner Prokurist6, mit dem ich eine Unterredung haben sollte, hat trotz Aufforderung nichts weiter von sich hören lassen. Nichtsdestoweniger arbeite ich im ursprünglichen Sinne weiter und wer- de mich um so mehr freuen, wenn aus der für uns ungeheuer wichtigen Sache, deren Bedeutung ich gewiß nicht unterschätze, etwas werden soll- te. Die Entscheidung darüber wird aber jedenfalls noch mehrere Wo- chen, wahrscheinlich sogar bis Jahresschluß dauern.
Brill schrieb mir (Rank) einen vom 28. September datierten Brief, der vor einigen Tagen ankam und in den knappen Zeilen eine ebenso unver- ständliche wie offenbar inhaltsreiche Mitteilung enthält. Er schreibt – und ich gebe den Inhalt möglichst wortgetreu wieder – daß es ihm end- lich gelungen sei, die 57.142 Mark 85 Pf., die ursprünglich durch Lipp- man, Rosenthal & Co7 geschickt worden waren, an die Deutsche Bank, Filiale München, auf das Konto Ernst Freuds8 zu überweisen. Er hofft, wir würden nun weiterhin keine Schwierigkeiten haben, das Geld zu be- heben (Im Schlußsatz bedauert er, infolge verschiedener Umstände am Besuch des Kongresses verhindert gewesen zu sein).9 – Nun ist das Geld – ich kann die ganze komplizierte Vorgeschichte10, die hoffentlich außer Jones auch die anderen aus meiner Erzählung im Haag erinnern, nicht wiederholen – ursprünglich eben nicht, wie wir von London aus mittels Kabel verlangt hatten, durch Lippman in Amsterdam gegangen, sondern ursprünglich an die Deutsche Bank, München, Konto Ernst Freud, wo es tatsächlich von der Steuerbehörde entdeckt wurde, aber niemals zur Aus- zahlung gelangte, sondern aus bis heute ungeklärten Gründen wieder nach Amerika zurück ging. Der jetzige Brief Brills ist also ebenso unver- ständlich wie seine bisherige Handlungsweise und wir wissen wieder nicht, wo wir das Geld erreichen können und auf welche Weise. Dazu kommt, daß Ernst Freud derzeit mit nicht stabiler Adresse Italien bereist; ich habe ihm heute express rekommandiert geschrieben (postlagernd Ne- apel, die Adresse, die bis Ende Okt. gelten soll), er möge der Deutschen Bank für den Fall des Eintreffens des Geldes die Weisung geben, daß
27.000 Mark an Eitingons Konto einzuzahlen sind, die der Verlag dem amerikanischen Fond schuldet, der Rest von 30.142,85 an die Mittel- deutsche Creditbank, Konto Kola, wo der Verlag sein Markkonto hat.
Gleichzeitig habe ich an Lippman geschrieben, er möge uns von den event. Eintreffen des Geldes sofort verständigen und auch angeben, wer verfügungsberechtigt ist; denn falls das Geld an Lippman kommt, wissen wir ja gar nicht auf wessen Namen, da Ernst Freud dort kein Konto hat.11 – Während ich glaube, daß das Geld durch Brills Bankier (Lewisohn) automatisch wieder an die Deutsche Bank geleitet wurde, möchte der Professor die Brillsche »Umkehrung« auf eine homosexuelle Kränkung beziehen und dementsprechend den wirklichen Sachverhalt darin erbli- cken, daß Brill jetzt das Geld an Lippman gesandt hat, wie es ursprüng- lich verlangt worden war. Die Kränkung Brills, an der ja kein Zweifel sein konnte, wird noch dadurch einen heute an den Professor gelangten Brief Brills bestätigt, worin er direkt sagt, daß er gekränkt sei, weil man ihm die Übersetzungsrechte der Bücher des Professors, die er bisher aus- schließlich hatte, abgenommen hatte. (Die »Vorlesungen« hat bekannt- lich Professors Neffe Bernays in New York englisch herausgegeben.12) – Von der ganzen Geldangelegenheit ist in dem Brief an den Professor mit keinem Wort die Rede.
Englisches Journal: Mit der Wahl der beiden Redakteure Flügel und Bryan ist der Professor sehr einverstanden. Wir möchten aber auch die Frage der amerikanischen Redakteurschaften möglichst bald gelöst ha- ben, damit das Titelblatt endlich seine definitive Gestalt bekomme und schlagen vor Brill, den man nicht umgehen kann und auch irgendwie versöhnen muß, ferner Frink13, der sehr gelobt wird und im März nach Wien kommen will. Als dritten eventuell Oberndorf14 (die Präsidenten der Gruppe) von dem wir aber gar nichts wissen. Die Entscheidung über den Dritten überlassen wir Jones.
Mit Heller ist die langwierige Abrechnung endlich zu einem gewissen Abschluß gekommen. Er zahlt uns die für den kommissionsweisen Ver- kauf unserer Bücher und Zeitschriften vereinnahmten Beträge aus und wir sind – Gott sei Lob und Dank – mit ihm ganz fertig. Bis auf die Os- termesse-Abrechnung15, die als Nachtrag gesondert behandelt werden muß. Er hat bei dieser Gelegenheit auch mitgeteilt, daß die »Vorlesun- gen« vom Professor (das vierte Tausend) nahezu ausverkauft sind und, daß wir das Werk in unseren Verlag übernehmen können (wir haben be- reits seit einigen Monaten eine Auflage von 2000 fertig liegen, mit deren Ausgabe wir dann bald beginnen können).
Was das italienische Journal und die italienische Bibliothek betrifft, die wir event. von Bianchini übernehmen wollen, stehen Nachrichten aus Italien noch aus.16
Fond: Beiliegend zwei Zeitungsausschnitte zur Illustration des von Fe- renczi im letzten Brief über den Freud-Fond Mitgeteilte. Die Ausschnit- te, die wir natürlich nicht von Ferenczi erhalten haben, sollen die Runde machen und uns dann wieder eingesandt werden.17 Übrigens wurde der Professor von einem hier lebenden ungarischen Redakteur18 aufgefor- dert, zu den Angriffen Stellung zu nehmen und ihm dazu das betreffende Blatt zur Verfügung gestellt. Er hat jedoch abgelehnt. – Was den Vorschlag Abrahams19 betr. die Preise anlangt, meint der Professor damit noch zu warten, bis wir wissen, ob wir das Verlagsgeld freibekommen und damit event. die Preise wieder aktivieren können.
Verein: Die Idee der internationalen Diskussion wollen wir gewiß im Auge behalten, aber doch lieber warten, bis sich ein geeignetes Thema darbietet; das von Ferenczi vorgeschlagene über Psychiatrie hat sich ja schon auf dem Kongreß als ungeeignet erwiesen. – Abrahams Argument gegen das Verlagszeichen können wir nicht teilen; dasselbe ist ja doch als offizielles Verlagszeichen nichts weniger als ein Geheimbundzei- chen. – Frau Spielrein ist auch unserer Wissens in keiner Weise offiziell zu irgend etwas delegiert worden, soll aber doch im Ganzen schonend behandelt werden.
Für Jones lege ich einen Bericht der Leipziger Gruppe aus unserer Zeit- schrift bei.20 Es handelt sich um eine brav arbeitende Gruppe junger Stu- denten, unter der Führung eines Mediziners, Prof. Knopf21, der sich je- doch nicht offiziell als Leiter geriert, sondern dies einem Stud. Voitel überläßt, der auch bisher über die Mitglieder der Gruppe berichtet hat; nach seinen Mitteilungen sollen übrigens auch an anderen deutschen Universitäten Keime ähnlicher Vereinigungen bestehen. Ihre Angliede- rung an die »Internationale« kann nur wärmstens befürwortet werden. Allerdings können wir sie nicht als eine ordentliche Gruppe aufnehmen, sondern nur als eine Art »associate« (was entsprechend verdeutscht wer- den müßte). Bezüglich der Beiträge könnte man ihnen wohl entgegen- kommen, da die Verhältnisse hier wohl anders liegen als in der Schweiz22, wo es sich ja um ausübende Analytiker oder Mitglieder in sonstigen Stellungen, nicht aber um eine Gruppe von ausgesprochen Studierenden, handelt. Vielleicht könnte man ihnen, sagen wir für die Dauer 1 Jahres, einen Mitgliedsbeitrag und ein Zeitschrif- ten-Abonnement konzedieren, oder aber ihnen den Vorschlag machen, daß die besser Situierten bezahlen, die anderen nicht (alles provisorisch auf die Dauer eines Jahres, wobei sie die meisten Rechte ordentlicher Mitglieder nicht hätten, mit dem Hinweis darauf, daß sie keine Ärzte sei- en und wir die allgemeinen Bestimmungen ihretwegen nicht ändern kön- nen.)
Vor kurzem hat sich ein ausgebildeter Psychiater Dr. Schwab23 beim Professor gemeldet, um an seiner Klinik zu arbeiten. Professor hat ihn an die Poliklinik gewiesen (und auch einen Brief dorthin eingeschickt24; wa- rum geht Nunberg nicht nach Berlin? er wollte doch). –
Was Abraham von den Referaten schreibt, berührt einen der wundesten Punkte unserer ganzen literarischen Tätigkeit. Dem Verlag fliegt Litera- tur auch nicht wie die gebratenen Tauben ins Haus (besonders heutzuta- ge nicht, wo die Verleger mit den Rezensionsexemplaren furchtbar gei- zen). Wir stöbern vielmehr davon soviel auf als uns bei einem nicht or- ganisierten bibliographischen Apparat zufällig möglich ist. Diese Bücher verlangt dann die Redaktion der Zeitschrift – und nur diese nicht der Verlag erhält Rezensionsexemplare. – Natürlich ist diese Art höchst un- vollkommen und darum haben wir s.Z.25 jeder Gruppe einen Teil dieses Aufstöberns und Verlangens der Literatur überlassen. Daß dies sehr zweckmäßig ist, hat die Schweizer Gruppe bewiesen, die sich bis jetzt auch nicht beklagt hat, daß ihr nichts zu Gesicht gekommen sei, sondern uns im Gegenteil von Zeit zu Zeit bibliographische Berichte und Refera- te zusendet. Außerdem macht sie von der Möglichkeit Gebrauch, die Verlagskarten26 zu benützen, die wir s. Z. eigens drucken ließen, um eben auch den nicht direkt im Verlag tätigen Redaktionsmitgliedern, Ge-legenheit zum Verlangen von Arbeiten zu geben. Wir haben auch diese Karten damals an alle Redakteure gesandt und sind bereit, im Falle sie nicht angekommen oder verbraucht sein sollten, dieselben zu wiederho- len. Wir legen auch eine derartige Karte bei, um zu zeigen, wie sie zu benutzen ist, um völlig unabhängig vom Verlag zu wirken.
Daß das Referieren eine undankbare Arbeit ist, soll nicht bestritten wer- den, aber es ist leider ein notwendiges Übel und muß jedenfalls mit sehr viel guten Willen unternommen werden, nicht aber mit einer Noncha- lance wie sie der Jahresbericht27 zeigt, der sich jetzt, da der größte Teil vollständig gesetzt ist, während von anderen Referenten überhaupt noch kein Manuskript eingegangen ist, als ziemlich unbrauchbar erweist. Um den Referenten die Sammlung der während der Kriegszeit außerhalb der engeren psa. Literatur erschienen Arbeiten zu erleichtern, habe ich jedem derselben ein Literaturverzeichnis seines Gebietes zugestellt, aber aus- drücklich dazu bemerkt, daß es unvollständig ist und daß außerdem jeder Referent noch die Jahrgänge unserer Zeitschrift von 1914 – 1919 selbst durchsehen muß, da ich die Zeitschrift im Besitze jedes Mitgliedes vor- aussetze und dies auch für den einzelnen eine unverhältnismäßige gerin- ge Arbeit bedeutete. Ich habe natürlich beim Eingang der Manuskripte nicht die Zeit gehabt, jedes Einzelne durchzulesen, sondern sie – unter Voraussetzung der Gewissenhaftigkeit der Referenten – in die Druckerei gesandt. Jetzt, da ich die noch ausstehenden Referate jeden Tag erwarte – leider vergeblich – habe ich mich selbst daran gemacht, die Literatur für mein Referat zusammenzustellen und bin dabei im Laufe eines mehr- stündigen Suchens auf die erschreckende Tatsache gestoßen, daß von der psa. Literatur ungefähr die Hälfte im Jahresbericht überhaupt nicht vor- kommt – darunter nicht etwa nur Arbeiten von Adler, Stekel etc., zu de- ren Ausschließung natürlich auch kein Grund vorliegt, sondern sogar auch eine Anzahl von Arbeiten vom Professor, Sadger etz. etz.. Dieser beschämende Mangel erklärt sich nun durch dreierlei Versäumnisse der Referenten: 1./ Hat zu der von mir zusammengestellten und ausdrücklich als unvollständig bezeichneten Literatur kein Referent aus seiner eigenen Lektüre irgend etwas hinzugefügt, obwohl genug hinzuzufügen gewesen wäre. 2./ Haben die meisten Referenten, die in meinem Verzeichnis ge-nannten Arbeiten, welche sie offenbar nicht einsehen konnten, einfach gestrichen, anstatt sie wenigstens im Literaturverzeichnis – wenn auch unbesprochen – stehen zu lassen. 3./ Hat keiner der Referenten dem von mir ausdrücklich betonten Umstand Rechnung getragen, daß in meiner Zusammenstellung die Zeitschrift überhaupt nicht berücksichtigt war. Es fehlen also in dem Jahresbericht – wie er jetzt vorliegt – nahezu sämtli- che Original-Arbeiten, Mitteilungen und diejenigen Referate, welche eben hienüberzunehmen gewesen wären. Angesichts dieser Tatsache lehnt es der Professor entschieden ab, einen Jahresbericht in dieser Form zu publizieren und will keine Kosten, Mühe und Zeitversäumnis sparen, um den Jahresbericht in entsprechender Weise zu vervollständigen. Er hat sich sogar angeboten den nächsten Sonntag mit mir dazu zu verwen- den, um die Bibliographie aus den Zeitschriften-Bänden zusammenzu- stellen, was ich aber – wie ich hoffe im Sinne aller Beteiligten – nicht zugegeben habe. Ich werde diese Arbeit am Sonntag mit Reik28 machen und dann jedem der Referenten, einen Bürstenabzug seines bisher ge- setzten Referates nebst einem Verzeichnis der notwendigen Ergänzungen zugehen lassen. (Eitingon und Boehm, deren Referate noch ausstehen, erhalten diese Nachträge gleichfalls; Jones soll die Übersetzung des Jah- resberichtes stocken).
Da das Erscheinen des Jahresberichtes ohnehin jetzt weiter verzögert wird, werden wir bei dieser Gelegenheit, auch die bis jetzt fehlende Rub- rik der französischen Literatur, die ziemlich reichhaltig, einführen und haben beschlossen beim jungen Flournoy29 in Genf, der an unserer Zeit-schrift mitarbeitet, anzufragen, ob er bereit, dieses Referat in kurzer Zeit zu liefern. Literatur hierzu stellen wir ihm gleichfalls zur Verfügung. Endlich müssen wir für verschiedene – in den bisherigen Rubriken nicht unterzubringende Arbeiten – eine neue Rubrik schaffen, die Reik über- nommen hat. – Ganz vernachlässigt haben endlich alle Referate die Tat- sache, daß es Bücher gibt (wie z.B. die Kaplanschen30 aber auch andere), deren einzelne alle oder Abschnitte oder Kapitel verschiedenen Refera- ten zugehören; der Jahresbericht hat jedoch die Aufgabe, den Leser über die Fortschritte eines bestimmten Gebietes zu orientieren, nicht ihm bloß zu sagen, daß ein Buch mit diesem Titel erschienen ist, von dessen Inhalt dann nur event. ein Satz bekanntgegeben wird. – Dann sollten sich die einzelnen Referenten in der selben Stadt gelegentlich aussprechen – es wäre sogar der Mühe wert, eine Vereinssitzung zu verwenden. – Es könnte dann nicht vorkommen, daß beispielsweise Boehm in Berlin auf eine nach 3/4 Jahren erfolgte Urgenz seines Referates erwidert, er habe sich die ganze Zeit bemüht, ein theoretisches Problem betreffend die Per- suasionen, das ihn schon seit Jahren beschäftige, gelegentlich des Refe- rates in seinem Bericht zu lösen. Darüber belehrt, daß ein Jahresbericht nicht der Ort sei, um schwierige Probleme zu lösen, und daß wir den Be- richt mit seinem gelösten Problem gar nicht hätten drucken können, ant- wortete er bescheiden, daß er nunmehr also eine trockene Aufstellung des Gelesenen geben werde. Darauf muß man ihm wieder schreiben, daß auch das nicht die Form eines Referates sei, welches dazu diene, die Fortschritte der Psa. darzustellen.31 Und das alles wäre doch so einfach und ohne Zeit- und Energieverschwendung zu lösen, wenn ein Berliner Kollege sich gelegentlich bei Boehm erkundigt hätte, was denn sein Be-richt mache und ihn bei dieser Gelegenheit montiert hätte! – Dies nur ein Beispiel für viele andere! –
Doch genug davon! Wir bedauern es selbst am meisten, daß dieser der Festigung unserer persönlichen und freundschaftlichen Beziehungen dienende Briefverkehr gleich zu Beginn durch einen solchen Mißton ge- stört wird, aber als Freund und Analytiker muß man es verstehen, daß diese aufrichtige Schimpferei – etwas anderes ist es ja im Grunde nicht – nötig ist, wenn einem nicht angesichts fortwährender und fortwährender Schwierigkeiten die Geduld endlich reißen soll. Vielleicht liegt in dem Schimpfen auch ein Stück Selbstanklage, das insoferne begründet wäre, als mich die hohen Kosten der Druckänderung und die starke Verspätung des Erscheinens wirklich bedrücken und ich vielleicht, wenn ich nicht gar so überbürdet wäre, die Fehler hätte früher bemerken und im Keime richtig stellen können. Aber ich glaube doch alles menschenmögliche was in meiner Macht lag, getan zu haben, um das Beste zu erreichen und wenn ich mir jetzt etwas vorwerfen kann, wäre es nur das, daß ich es von Anfang an den Referenten zu leicht gemacht habe, statt ihnen die ganze Arbeit zu überlassen.
Es wird sich notwendig erweisen, von Zeit zu Zeit die beiden Ortsgrup- pen, die im Komitee nicht vertreten sind, also Holland und die Schweiz, von verschiedenen in unserem Briefwechsel erwähnten Tatsachen, Vor- schlägen, Plänen, welche die Vereinigung oder einzelne Personen spe- ziell interessieren können oder müssen, Mitteilung zu machen.
Wir schlagen vor, daß diese Auszüge ad usum delphini32 sagen wir all- monatlich (also nach dem 4. Briefwechsel)33 gemacht werden. Den schweizerischen kann ich übernehmen, da ich mit Oberholzer34 ohnehin in Briefwechsel stehe35, den holländischen könnte am besten Jones vom Präsidium aus verfassen.
An Jones: Pfister schreibt mir, daß Mackenzie36 ihm erklärt habe, er wünsche lieber in die Schweizer Gruppe einzutreten; er hätte überhaupt Jones nur seine Bereitwilligkeit zum Eintritt erklärt.37 Ich schlage vor, ihn aus der Londoner Gruppe zu streichen, weil es nach seiner Darstel- lung den Anschein hat, als hätte man ihn dort zum Eintritt genötigt, wäh- rend wir uns in Wirklichkeit gar nicht um ihn zu reißen brauchen: er ist ein »Anhänger« aller analytischen Richtungen ohne Unterschied und hat soviel ich weiß, bisher überhaupt keinen Mitgliedsbeitrag bezahlt, nimmt auch – obwohl Besitzer eines Palazzo in Genua – an der Höhe des Schweizer Beitrages38 Anstand.
An Abraham: Ref. über Liepman, Psychologie der Frau von Boehm39 erwünscht (aber erst nach Fertigstellung seines Jahresbericht-Ref.) Was das laufende Referentenwesen betrifft, so habe ich ja schon im ersten Brief versprochen, bald mit der Mitteilung der neuen Literatur zu begin- nen, u.zw. zunächst der bei der Redaktion infolge Anforderung einlan- genden als auch der überhaupt erscheinenden, so weit sie mir überhaupt bekannt wird. Wir müssen bedenken, daß es sich bei der ganzen Sache eigentlich doch nur um die deutsche Literatur handelt, die zwischen Ber-lin und Wien aufgeteilt werden muß (vielleicht beteiligt sich übrigens Hattingberg40 in München und Landauer41 in Frankfurt auch). Das kann doch keine solche Schwierigkeiten bilden, ist aber bisher doch wesent- lich an der Passivität der Berliner gescheitert. Alle anderen nationalen Literaturen sind im Vergleich zu der deutschen auch im Jahresbericht verhältnismäßig gut referiert!
Ferenczi, der gerne französische Sachen referieren möchte, erinnere ich daran, daß er schon seit längerer Zeit die Kinderpsychologie von Clapa- rède42 zum Ref. hat; ferner möchte ich wissen, ob Cl. ihm auch die Ar- chives schickt (ferner habe ich Ferenczi vor einigen Jahren zwei Hefte des American Journ. of Psychol. geliehen, die mir jetzt zu den Bänden fehlen und die ich nicht mehr bekommen kann; vielleicht ist er so gut nachzusehen, ob er sie noch findet; bitte diese Privatbemerkung zu ent- schuldigen, es fällt mir eben jetzt ein).
Weiter glücklicherweise nichts mehr, es ist auch schon zu spät dazu. Mit herzlichen Grüßen
Rank Freud43