S.
W I E N IV
am 28. Oktober 1920
Liebe Freunde!
Wir bestätigen London und Berlin No. 3 (Budapest No. 32 hatten wir schon bei Absendung des vorigen Briefes). – Wir bitten aus technischen Gründen die Briefe an Rank zu adressieren.
Zunächst zu den eingegangenen Briefen: Vor allem freuen wir uns über den Berliner Aufschwung, von dem Abraham berichtet, wenn wir auch von Wien nichts ähnliches berichten können – namentlich nicht auf ärzt- lichem Gebiet – und andererseits von einem gewissen Abflauen der Be- wegung in Budapest Anzeichen vorliegen. Sollte sich infolgedessen für Ferenczi die Notwendigkeit eines Domizilwechsels herausstellen, so würden wir ihn zwar in Wien mit offenen Armen empfangen, glauben aber doch in seinem eigenen Interesse ihn Berlin empfehlen zu sollen.
Den Vorschlag von Berlin betr. der Leipziger Gruppe halten wir für die beste Lösung.3 -
Abrahams Rundschau-Artikel4 bestätigen wir dankend. -
Über Jones‘ geschäftliche Mitteilungen wäre sehr viel zu sagen. Nur we- nige Bemerkungen zur Klärung. Zwischen Wien und London schwebte von Anfang an ein Mißverständnis in der Verlagssache, das sich bereits gerächt hat und jetzt weitere Folgen zu zeitigen beginnt. Der Verlag hat die englische Press ins Leben gerufen als eine geschäftliche Unterneh- mung, die sich heute sogar als noch weit fruchtbarer erweist als seiner Zeit. Jones und sein Verlagsleiter Hiller haben diesen Gesichtspunkt nie besonders gewürdigt – wie mir Jones im Haag zu meinem Erstaunen er- klärte – sondern fast ausschließlich das Repräsentative möchte ich sagen daran gewürdigt. Sie wollten in England eine Zentralstelle haben, in der man alle psa. Arbeiten erhalten sollte und von dieser Stelle aus auch Propaganda für die Bewegung und unsere Literatur machen. Dazu gehört aber viel Geld, während wir – der Verlag – umgekehrt Geld von dort aus dem Verkauf unserer Bücher zu bekommen hofften. Diese Zent- ral-Propaganda-Stelle war immer und ist auch jetzt zur Vermeidung von Mißverständnissen streng von der Press zu trennen, die nichts weiter be- inhaltet, als daß wir englische Publikationen unter einer gewissen Firma herausgeben. Wir wollen der Einfachheit halber die erstere kurzweg shop nennen, weil sie sich ja hauptsächlich mit dem Bücherverkauf be- schäftigen soll. Nun wurde sie zu einer Zeit gegründet, wo die Press noch gar nichts publiziert hatte (sie hat auch bis zum heutigen Tage nur das 1. Heft des Journal herausgegeben) und war ja auch nach der Idee von Jones und Hiller dazu bestimmt, psa. Werke von allen möglichen Verlegern (auch amerikanischen) zu verkaufen. Hiller meinte, wenn sie nur ein Anfangskapital zum Einkauf von Büchern hätten und zur Ein- richtung eines Büros, so würde sie bald aktiv werden. Dieses Anfangs- kapital konnte der Verlag aber naturgemäß nicht bereitstellen (weil es sich ja um Pfunde und Dollar handelte) und dieses Kapital wurde aus Spenden von Mitgliedern der englischen Gruppe aufgebracht. Sie hatten es zwar auf einen Aufruf der Press hin gezeichnet, aber von dem ganzen Gelde hat die Press keinen Penny gesehen, weil es ausschließlich vom Shop verschlungen wurde, der bisher für die Press gar nichts leisten konnte, weil die Press noch keine Publikationen hatte. Auf dieser Basis sind natürlich die Einwendungen der Londoner Mitglieder leicht zu wi- derlegen. Sie beklagen sich, daß sie keinen Einfluß auf die Leitung der Press haben und daß die Press zu viel Geld kostet (engl. Verleger wür- den unsere Sachen ohne finanzielle Unterstützung drucken). Auf den zweiten Einwand ist zu erwidern, daß auch die Press (d.i. der Verlag) die englischen Sachen ohne finanzielle Unterstützung druckt und weiter dru- cken kann; im Gegenteil, darin ein glänzendes Geschäft sieht, aus dem es Nutzen ziehen kann: Es wird eben hier wieder Press und shop verwech- selt. Der erste Einwand ist vollkommen unberechtigt, denn es ist nie ver- sprochen worden, daß die Spender freiwilliger Gaben für den Verlag ei- nen Einfluß auf dessen Führung damit erwerben, weder in finanzieller noch in wissenschaftlicher Hinsicht. Das wäre doch auch praktisch un- durchführbar. In wissenschaftlicher Hinsicht hat aber der Professor auf dem Kongreß ausdrücklich die Gruppe aufgefordert, die von ihr ge- wünschten Redakteure für das Journal vorzuschlagen.5 Unter diesen Umständen habe ich Jones geraten, die jetzigen Spenden, an die sich die Kri- tik der Mitglieder geschlossen hat, lieber abzulehnen, als damit irgend eine Verpflichtung auf sich zu nehmen, namentlich wenn es den An- schein erwecken könnte, als wäre unter einer Scheinvoraussetzung ge- sammelt worden. Im übrigen ist durchaus nicht zu befürchten, daß im Falle des Verkaufes an Kola Jones den englischen Mitgliedern gegen- über in eine schiefe Situation kommen könnte, wenn sie dann ihre Spen- den zurückverlangen sollten; denn wir wären ja dann auch in der Lage, ihnen das Geld zurückzuerstatten. – Was ihre jetzige Spende betrifft, ist weiterhin zweierlei zu bemerken: 1. Bei Gründung der Press haben sie durch ihre Subscriptionszeichnung sich gewissermaßen moralische ver- pflichtet, die ganze englische Aktie zu unterstützen und sie mußten da- mals auch wissen, daß das Geld für den Buchshop und zur Bezahlung Hillers verwendet wird. Ist nun diese Sache passiv geworden, so geschah es nicht zum wenigsten darum, weil sie ihr damaliges Versprechen, wie Jones uns auf dem Kongreß erzählte, nicht eingehalten haben. Wenn also heute der shop selbst in Konkurs gehen mußte, hätten sie eigentlich die moralische Verpflichtung, einfach die Schulden des Unternehmens zu zahlen, das auf ihre Versprechungen hin gegründet wurde. Und wie Jo- nes schreibt, scheinen ja die jetzigen Spenden tatsächlich dem schlechten Gewissen der Mitglieder nach dieser Richtung zu verdanken zu sein. 2. Außerdem wurde aber anläßlich der jetzigen Spenden wieder über die Schwierigkeiten gesprochen, Hiller, der nach Wien zum Verlag gehen soll, zu bezahlen; und ein Teil der Spenden soll auch im Einverständnis mit den Mitgliedern zu diesem Zwecke verwandt werden. Es ist nicht einzusehen, was da noch für Vorbehalte der Spender zu machen sein sollten, wenn sie wenigstens einen Teil des Geldes für einen ganz be- stimmten Zweck bestimmt haben!
Ich hoffe mich ziemlich klar gemacht zu haben, wenngleich ich mir nicht verhehlen kann, daß die Sache derart kompliziert wurde, daß selbst eine mündliche Aussprache sie schwer entwirren könnte. – Die »Spenden«, die der Verlag bisher erhalten hat, und von denen Jones auch zwei an- führt, sind aber ganz und gar nicht mit den wirklichen »Danatians«6 der englischen Mitglieder zu vergleichen. Die 300 Dollars von Putnams Witwe sind als Beitrag zu den Herstellungskosten seines Buches7 ge- dacht und werden diese kaum decken. (Ähnlich verhält es sich mit den
K. 25.000, die Róheim uns für sein englisches Werk8 zur Verfügung ge-
stellt hat, das ungefähr viermal so viel kosten dürfte). – Die einzige wirk- liche Spende ist der von Brill dem Verlag zugedachte Summe von 1000 Dollar, die so sonderbare Schicksale hatte.9
Übrigens scheint sich die Sache jetzt endlich aufzuklären. Einige Tage nach dem uns unverständlichen Brief von Brill kam ein Schreiben von seinem Newyorker Bankier, Lewinsohn, mit der Nachricht, daß ein Scheck auf die 57 Mille Mark auf den Namen Ranks an die Filiale Mün- chen der Deutschen Bank abgegangen sei. Wir haben uns sofort telegra- phisch und brieflich nach München gewandt, sind aber bis heute ohne Nachricht.
Zur Sache Kola noch für Jones, daß wir alle Nachteile der Sache wohl sehen, daß uns aber die Vorteile zu überwiegen scheinen. Eine Schwie- rigkeit – aber wohl nur eine formale – wird das Verhältnis zu der selb- ständigen englischen Filiale wohl beinhalten; darin können wir Jones recht geben.
Von Brill hatte auch der Professor ein Schreiben, aus dem er auf einen persönlichen neurotischen Zustand des Schreibers schließen mußte; Pro- fessor hat Brill in seiner Antwort beschwichtigt, ihm die Koeditorship
des englischen Journal angeboten und auch Jones veranlaßt, sich in die- sem Sinne mit Brill zu verständigen.10
Das von Jones Mitgeteilte zur Sexualtheorie wird der Professor direkt beantworten.11 -
Zum Thema der »Battle-Dreams« fehlt es uns hier an Material, aber das hindert nicht eine Diskussion der englischen Gruppe darüber. -
Von hier ist zu berichten:
Pfister stellte als Autor des Verlages (es erscheint jetzt ein Buch von ihm bei uns12) und als Mitarbeiter der Imago die Forderung, daß er das Abonnement der beiden Vereinszeitschriften aus diesem Guthaben bei uns decken kann und hat auch tatsächlich seinen Schweizer Beitrag mit dieser Begründung nicht bezahlt. Ich schrieb ihm, daß ich dies nicht ent- scheiden könne, da es eine Vereinsangelegenheit sie, daß aber meine persönliche Ansicht wäre, er solle als Vorstand der ohnehin immer über den Zeitschriftenzwang klagenden Schweizer Gruppe13 nicht gerade mit schlechtem Beispiel vorangehen. Darauf kam ein ziemlich wütender Brief, er begreife meinen Standpunkt nicht und überhaupt werde die Zeitschriftensache immer unerträglicher (bes. Imago als offizielles Or- gan). Oberholzer habe ihm wütend erklärt, er hätte die ganze Sache schon bis zum Halse. Da wir Pfister ohnehin seine Bücherbezüge ganz ausnahmsweise zu unseren Inlandspreisen berechnen und von seinem Konto bei uns abschreiben, will er das auch für die Zeitschriften, für die aber sonst auch eine ganz andere Verkaufsordnung im allgemeinen be- steht, da sie auf dem Umschlag vorgedruckte Auslandspreise haben, die von allen anderen Menschen – ob Mitglieder oder nicht – eingehalten werden müssen, da wir nicht unsere eigenen Bestimmungen umgehen können. Andererseits liegt aber auch darüber ein Kongreß-Beschluß vor, zu dem Pfister bekanntlich nicht das Wort ergriffen hat. In diesem Sinne werde ich ihm antworten und hoffe irgendwie friedlich mit ihm auszu- kommen. Dagegen scheint es nötig, daß von der Zentrale aus einmal der Schweizer Gruppe auf den Zahn gefühlt werde und wir meinen, daß es gut wäre, wenn Jones an Oberholzer in diplomatischer Weise schriebe, etwa anknüpfend an den Kongreß bedauern, daß der Präsident der Schweizer Gruppe nicht vertreten war, daß wir diese Nichtvertretung als stillschweigende Zustimmung zu unseren Beschlüssen auffassen und an- nehmen, daß die Schweizer auch mit der auf dem Kongreß approbierten Bestimmung des Zeitschriftenbezuges einverstanden und jetzt ausge- söhnt sind, um so mehr, als Pfister – offenbar im Namen der Gruppe – mit dafür gestimmt hat. (Pfister schreibt14, daß Mackenzie wegen der Zeitschriften austritt.)
Von unserem Vertreter in Italien, Dr. Weiss in Triest, kam heute die Nachricht, daß er für die Vorlesungen15 einen bedeutenden ital. Verleger gefunden habe, daß ihm de Sanctis16, der sich für die Analyse zu interes- sieren scheine, angeboten habe, zu seiner Zeitschrift eine psa. Beilage zu redigieren (allerdings unter einem allgemeinen Titel, etwa »Psychopa- thologie) und endlich, daß Prof. Bianchini mit unserem Vorschlag ein- verstanden ist, daß der Verlag seine »Bibliothek« übernehme, von der er bereits zwei weitere Arbeiten (Freud: Sexualtheorie17 und Rank: My- thus18) zur Publikation fertig übersetzt habe. –
Bei der Arbeit über den Jahresbericht, die erst nächsten Sonntag fortge- setzt werden kann, sind wir bis jetzt zu folgenden Neuerungen gekom- men – : Die in den einzelnen Rubriken19 nicht unterzubringenden Arbei- ten allgemeiner Natur (Kulturgeschichte etc.) werden in einem eigenen Abschnitt von Reik und Sachs behandelt und in diesem Abschnitt soll auch die von Sachs als Spezialgebiet übernommene Mystik aufgehen, der wir glauben keine eigene Existenzberechtigung zuschreiben zu sol- len. Ferner schaffen wir die schon geplante Rubrik »Soziologie«, deren Referat wir einem jungen ungarischen Mitglied, Kolnai, anvertrauen wollen, von dem eben jetzt eine Arbeit über Psa. und Soziologie20 in uns- rer Bibliothek erscheint. (Ich habe übrigens vor längerer Zeit die Aus- hängebogen dieses Werkchens an Abraham geschickt mit der Anfrage, ob seine Frau geneigt wäre, die Übersetzung ins Englische zu überneh- men und wundere mich, daß ich bis heute ohne Antwort auf diese Anfra- ge bin.) Endlich hat sich die Schaffung einer Rubrik für die psychologi- schen Arbeiten als notwendig erwiesen, die wir den Mitgliedern der Bu- dapester Gruppe, Dr. Hermann, angeboten haben, der sich als Mitarbeiter der Zeitschr. nicht nur als gut geschulter Allgemeinpsychologe, sondern auch als verläßlicher pünktlicher Referent erwiesen hat. Von fremdspra- chigen Rubriken haben wir die französische Flournoy und die russische Spielrein21 angeboten. Literatur: Außer dem Buch von Kolnai, das schon fertig ist, und dem Groddeckschen Roman22, der jetzt ausgedruckt ist, sind in dieser Woche versandt worden: Zeitschrift Heft 3 und Imago Heft 4. (Jones könnte in seinem Brief an Oberholzer auch den Abschluß der Zeitschrif- ten-Jahrgänge zum Anlaß nehmen.) Zeitschrift Heft 4 wird Anfang des nächsten Monats gedruckt und noch im Laufe des November versandt (enthält den Kongreßbericht).
Personalia: Dr. Feigenbaum23, der mit Berlin in Unterhandlungen stand
hat einen Antrag nach Palästina zu gehen, angenommen und wird sich in etwa drei Wochen einschiffen. Anfangs November hält er in unserer Vereinigung einen Vortrag. – Dr. Nunberg, der heute bei mir (Rank) war, erklärte, daß zunächst Pass-Schwierigkeiten sein kommen verhin- dert hätten. – Dr. Hárnik aus Budapest wird wie wir hörten anfangs De- zember in Berlin eintreffen.24
Ein sympathischer junger Wiener Verleger25 hat sich an uns mit dem Er- suchen gewendet, ihm Bücher, die wir nicht bringen wollen, zur Publika- tion zuzuweisen; es ist also außer Reuss & Pollack26 auch hier eine sol- che Möglichkeit vorhanden, von der ich empfehlen kann, Gebrauch zu machen.
Mit herzlichen Grüßen
Freud/Rank
P.S. Vom Professor sind die »Selected Papers on Hysteria and other Psy- choneuroses« (im Verlag Nerv. and Mental Serie, New York) in dritter vermehrter Auflage erschienen.27