• S.

    Wien, am 19. Oktober 1922

    Liebe Freunde!

    Wir haben mit dem Brief bis heute gezögert, um die gestrige erste Vereins-
    sitzung abzuwarten; haben übrigens auch von den anderen Briefen bis heute
    nur den Londoner erhalten.

    Es ist wohl ein zu kurzer Intervall nach dem Kongreß als daß viel 
    Mitteilenswertes zu sagen wäre. Wir beschränken uns daher auch auf die
    wenigen Neuigkeiten von hier und werden im nächsten Brief erst auf die an-
    dern Briefe von Mitte Oktober antworten.

    Zufällig sind uns gerade heute die schönen Berliner Tage in angenehmste
    Erinnerung gerufen worden, indem das sehr gelungene Gruppenbild angekommen 
    ist. Gleichzeitig damit, der so lange erwartete Poliklinik-Bericht, für den
    wir Dir, lieber Max, im Namen der Sache bestens danken. Bei dieser Gelegenheit 
    empfinden wir auch das Bedürfnis, Dir, lieber Ernest, für die umsichtige Lei-
    tung des Kongresses zu danken. Wir bestätigen bei dieser Gelegenheit den 
    Empfang des Berichtes über die Geschäftssitzung, den Du uns eingesandt hast. 
    Wir glauben, daß er in einigen Punkten ergänzt werden sollte (z. B. müßte ge-
    nau gesagt werden, worin die Preisregulierung des Zeitschriften-Abonnements 
    besteht etc.). Ich werde hier diese, uns wünschenswert erscheinenden Ergän-
    zungen einfügen und Dir zusammen mit dem übrigen Kongreßbericht einschic-
    ken. Wie ich höre, soll übrigens der Kongreßbericht erst im Heft 1 des vier-
    ten Jahrgangs des Journal erscheinen, so daß noch reichlich Zeit ist. Auch 
    haben wir den Bericht über die Moskauer Gruppe zu kurz gefunden und ich damit ich 
    etwas mehr daraus entnehmen kann. Bei dieser Gelegenheit möchten wir Dich 
    bitten, mit der Moskauer Gruppe bald in Fühlung zu treten (eventuell via Eitingons 
    Adresse in Berlin), damit wir den nächsten Jahrgang der Zeitschrift bereits 
    mit dem neuen Titelblatt eröffnen können, auf dem die indische und die Mos-
    kauer Gruppe figurieren sollen.

    Von der gestrigen Geschäftssitzung sind einige Neuigkeiten zu berichten:
    in den Vorstand wurden neu gewählt: als Obmannstellvertreter Rank (an Stelle
    von Hitschmann, der Leiter des Ambulatorium bleibt), als Schriftführer Federn
    und Bernfeld (an Stelle von Rank und Reik, welch letzterer Bibliothekar und
    Referatensekretär bleibt). An der Poliklinik beginnt anfangs November Hitsch-
    mann einen Einführungskurs, an den sich im Januar ein Fortbildungskurs schlies-
    sen soll, den Federn oder Nunberg halten werden. Daneben werden Spezialkurse
    geplant, sowie Seminare und Kurse über Pädagogik von Bernfeld und Frau Dr.
    Hug. Der Mitgliedsbeitrag wurde mit K 40.000 festgesetzt und das (variable)
    Zeitschriften-Abonnement davon vollständig getrennt und dem Verlag überlas-
    sen.

  • S.

    Das Vortragsprogramm für die nächste Zeit ist reichlich besetzt; den ersten 
    Vortrag hält in 14 Tagen Silberer über einige Beobachtungen am Traum. Bei der 
    Zusammenstellung der nächsten Zeitschriften-Nummern, in denen ja die Kong-
    reßvorträge einen breiten Raum einnehmen werden, fiel uns auf, daß Du, lie-
    ber Ernest, Deinen Kongreßvortrag nicht im Journal veröffentlichen willst.
    Die Tatsache, daß er in dem jetzt in Druck befindlichen Band Deiner Essays
    erscheinen soll, würde nicht hindern, daß er vorher im Journal abgedruckt
    wird, umso weniger, als ja auch alle anderen „Essays“ schon publiziert sind.
    Wir haben ja schon öfter Gelegenheit gehabt, dagegen Stellung zu nehmen, daß
    wertvolle Arbeiten von der Publikation im Journal ausgeschlossen wurden, weil 
    sie später einmal – weiß Gott wann – in Buchform gesammelt werden sollen.
    Wir bedauern es umso mehr, daß Du auch diesmal dieses, unserer Ansicht nach
    ungerechtfertigte Prinzip hast walten lassen, als dies nicht der erste Fall
    ist, daß die wenigen Arbeiten, die Du in den letzten Jahren geschrieben hast,
    gerade nicht im Journal, sondern anderwärts erschienen sind. Es war dies im
    vorigen Jahre mit einer Arbeit der Fall, welche im British Journal of Psycho-
    logy veröffentlicht wurde und wo Du auf unsere befremdete Anfrage erwider-
    test, es sei dies durch die Tatsache begründet, daß es sich um einen, in dieser 
    Gesellschaft gehaltenen Vortrag handle. Nun haben wir kürzlich wieder eine
    wirklich sehr schöne Arbeit von Dir, die auch dem Professor gut gefallen hat,
    als Separat-Abdruck aus dem Br. Journal of Ps. erhalten („Some problems of a-
    dolescence“), bei der wir wieder das Gefühl hatten, wie schön und wertvoll es
    gewesen wäre, wenn diese Arbeit in unserem Journal erschienen wäre. Es sind dies
    Tatsachen, die wir nur bedauern können, die es aber erklärlich machen,
    warum das Journal noch nicht auf dem erwünschten hohen Niveau steht, da doch
    seine wertvolle literarische Arbeitskraft, auf der es den größten Teil auf-
    gebaut ist, sich ihm konsequent entzieht.

    Dies bringt uns das in Berlin nicht nur ungelöste, sondern noch sehr 
    komplizierte Problem der Press in Erinnerung und wir möchten gerne hören,
    ob in der Sache irgend etwas geschehen ist, besonders in der Richtung, die
    Rickman angedeutet hat („Vorschläge, Memorandum“ etc.).

    Mit herzlichen Grüßen

    [Rank/Freud]