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Wien, den 11.1.1922.
Liebe Freunde!
Vor allem die herzlichsten Glückwünsche zum neuen
Jahr, in das wir voll Zuversicht für den Fortschritt unserer Sache
eintreten.Persönlich wurde das neue Jahr unter den besten Auspizien
eröffnet, weil wir gleich in den ersten Tagen den Besuch Ferenczis
hatten, der hier zwei Kurs-Vorträge hielt. Gleichzeitig sollte
Abraham kommen, der jedoch durch den Eisenbahnerstreik in Deutschland
verhindert, seine Ankunft auf den 23. verzögert hat.Im Verein war die letzte Sitzung ein Gastvortrag des Inter-
nisten Doz. Deutsch, der über den psychischen Anteil der organischen
Krankheiten sprach. Er brachte interessante Kasuistik und entfesselte
eine lebhafte Diskussion. In der nächsten Sitzung am 18 spricht der
Philologe Sperber über Grillparzer. Am 25-ten hoffen wir Abraham als
Gast im Verein zu begrüßen. – Um dem manchmal schon lästigen Über-
handnehmen des Zulaufs der Außenstehenden zu unseren Sitzungen ge-
wisse Schranken zu ziehen, haben wir uns zur strengeren Handhabung
unserer Gästeordnung und zur Ausgabe von Gastkarten mit beschränkter
Dauer entschlossen. Endlich hat sich in der Vereinigung noch ein unlieb-
samer Fall ereignet: Doz. Schilder von der Psychiatrischen Klinik,
der in seinem bisherigen Publikationen schon ein etwas zu weitherziges
literarisches Gewissen ge-zeigt hatte, begeht in seiner letzten Arbeit,
einer kleinen Schrift über die Hypnose (Verlag Springer, Berlin), ein
unzweideutiges Plagiat an der Ferenczi-Freudschen Auffassung der Hyp-
nose und wir haben nicht die Absicht, dies hingehen zu lassen.Im Verlag ist das letzte (Doppel) Heft 3/4 des engl.
Journal erschienen. Die Schlußhefte von Imago und Zeitschrift werden gleich-
falls noch in diesem Monat versendet. Dann werden die 3 neuen Bücher
Bernfeld, Ferenczi und Varendonck ausgegeben. Von neuen Arbeiten ist
eine sehr schöne Arbeit Ossipows über die Kindheitserinnerungen
Tolstois zu erwähnen, welche die Imago-Bücher eröffnen soll. Ferner
kam ein Manuskript von einem Dr. Kinkel, Doz. an der Universität
Sofia, welches ein religionspsychologisches Thema behandelt (nicht
gelesen). Von unserem Kindersammelbuch wird jetzt die Schlußreda-
ktion bald in Angriff genommen werden können.In Frankreich scheint die Publikation der Vorlesungen eine
Psa.-Welle hervorgerufen zu haben, die, wie beiliegender Ausschnitt aus
der „Neuen Freien Presse“ zeigt, ihre Ausläufer bis nach Wien wirft.
In der „Nouvelle Revue Française“, deren Verlag jetzt die „Sexual-
theorie“ und den kleinen „Traum“ herausgeben will, veröffentlichte Ro-
mains eine anerkennende Besprechung der „Vorlesungen“. Der Verleger der
„Vorlesungen“, Payot, beeilte sich, auch alle zukünftigen Werke des Pro-
fessors zu erwerben, was wir natürlich abgewiesen haben. – Frau von
Voigt, die Mitarbeiterin Groddecks, bemüht sich um eine schwedische
Übersetzung der Werke des Professors.Von eingegangener Literatur wäre zu erwähnen ein französisches Buch
Baudouin, Genf, „Études psychoanalytiques“, ferner ein sehr umfangreiches
psychologisches Buch von Vera Strasser, Zürich, welches Adler, Jung
und Psychoanalyse durch Nicht-Zitierung der betreffenden Autoren
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sie zu verschmelzen sucht; ferner ein ziemlich verrücktes Buch
von Adrien Turel, die Wiedergeburt der Kraft aus dem Können,
worin er die Psychoanalyse auf den allermodernsten Standard erhe-
ben will. Von englischen Büchern: Mitchell, Psychology of Medicine,
Methuen, London; eine korrekte gute Darstellung der Analyse.
Ferner ein neues Buch von Ralph, How to psycho-analyze yourself,
Long-Beach, California. Endlich ein sehr interessantes Buch
von dem Amerikaner William Bayard Hale: This Story of a style
(Huebsch, Newyork) in welchem der Autor eine geistreiche
Analyse von Wilson versucht.Ad Lndn: Wenn es sicher ist, dass Unwin die englischen
Rechte für Gradiva nicht gekauft hat, dann würde sie die Press
erwerben. – Der Professor schrieb Dir, lieber Ernest wegen einer event.
englischen Ausgabe der 5 Vorlesungen und ich bin sehr gespannt auf
Deine Antwort. Ferner lässt der Professor fragen, ob er nicht
in die 2-te Auflage von Trotters Buch, in welchem er den Führeraus-
führlich behandelt, Einsicht nehmen könnte, um eventuell in der en-
glischen Ausgabe der Massenpsychologie darauf Rücksicht zu nehmen.
Was Deinen Wunsch, lieber Ernest, nach Unterschrift des Professors
betrifft, so ist er ohne Verzögerung des Briefes bisher nicht er-
füllbar gewesen, doch wollen wir versuchen, ob es nicht doch durch-
führbar ist. –Wir haben jetzt Schritte unternommen, um den verwaisten
Platz Tonis in der Verlagsgesellschaft durch Deine Aufnahme, lieber
Eitingon, auszufüllen.Mit herzlichsten Grüßen
[Rank/Freud]