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    Berlin, 21. Nov. 1926

    Liebe Freunde,

    ganz so wie Jones, hielt auch ich Lugano für besonders geeig-
    net für einen Kongreßort, gerade auch wegen seiner Entfernung von Zürich
    und Genf. Doch unserem Kollegen Oberholzer schien diese Entfernung nicht
    groß genug zu sein, denn nach meinem Brief erhielt ich von ihm die Ant-
    wort, daß meine Anfrage schon für ihn eine Überraschung gewesen sei.
    Wie die Schweizer sich zu einem Kongreß in der Schweiz stellen, sei mir
    ja noch aus der Korrespondenz bekannt, die er, O., seinerzeit mit Abra-
    ham und mir geführt habe, als es sich darum handelte, daß die Schweizer
    Gesellschaft den Kongreß übernehme, der dann in Homburg abgehalten wur-
    de. Die Schweizer hätten mir damals auch mitgeteilt, wie sie sich einen
    solchen Kongreß denken, woran sich dann die Verhandlungen zerschlagen ha-
    ben. Er halte es für inopportun, die hier sich eröffnenden Schwierigkei-
    ten und Unstimmigkeiten nach so kurzem Intervall wieder aufleben zu lassen,
    was auch bei meinem Kompromißvorschlag „?“ unvermeidlich wäre. Dabei
    sehe er ganz davon ab, daß die Schweizer ja doch nach außen hin in die
    Verantwortung einbezogen würden, u. s. w.

    Mit diesem Representative Man unserer Schweizer ist also nichts
    zu machen, und damit müssen wir also auch auf den Plan verzichten, mit unse-
    rem 10. Kongreß in die Schweiz zu gehen, was sehr schade ist. Die Wahl ei-
    nes anderen Ortes ist nicht leicht. Nach langem Überlegen möchte ich nun
    Stuttgart vorschlagen. Der Herr Professor riet zwar, als wir an Lugano
    dachten, auch zu Konstanz am Bodensee, doch bietet Stuttgart wohl eine Rei-
    he von Vorzügen. Es ist besonders vom Westen viel besser zugänglich, ver
     

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    verfügt außerdem über eine Reihe von Hotels, in denen wir den verschiedensartigsten
    Unterbringungsbedürfnissen leichter gerecht werden können. Außerdem hätten wir
    in Stuttgart die Person des Kollegen Meng, jemand, der mit Hilfe einiger anderer, der
    Psychoanalyse sympathisch gegenüberstehender Herren ein zuverlässiges Lokalkomitee
    bilden könnte, für die Vorbereitung und Durchführung aller lokalen Kongressan-
    gelegenheiten. Ich bitte nun um baldige Äußerungen über die Eignung Stuttgarts
    zum Kongreßort und ich werde dann Stuttgart den Zweigvereinigungen vorschlagen.

    Von unserer Vereinigung wäre noch mitzuteilen, daß am kommenden Sonn-
    abend eine Diskussion über die Rank’sche „Technik der Psychoanalyse“ stattfindet,
    nach einem einleitenden Referat von Sachs und Fenichel. Die Kurse dieses ersten
    Winterquartals erfreuen sich teilweise eines sehr regen Zuspruchs; die Psych-
    therapeuten aller Richtungen machen lebhafte Bemühungen hier zu einem Zusam-
    menschluß, ein Echo des Baden-Badener Psychotherapeutenkongresses. Wir selbst hal-
    ten uns allen diesen Dingen recht fern, obgleich man durchaus allgemein so tut, als
    rechne man sehr mit uns.

    Größeres Interesse beansprucht dagegen ein anderes Unternehmen, das mög-
    licherweise sehr bald realisiert werden wird. Simmel verhandelt nämlich schon seit
    längerer Zeit mit Finanzleuten über die Gründung eines psychoanalytischen Sanato-
    riums, hat bereits eine sehr schöne Besitzung in einem Vorort von Berlin gepachtet,
    das sich für ein solches Unternehmen sehr gut eignet, und wird vielleicht in recht
    absehbarer Zeit das Sanatorium teilweise schon eröffnen. Wieviel äußeren und inne-
    ren Schwierigkeiten dieser Versuch begegnen mag, es besteht sicher ein Bedürfnis da-
    nach und wäre Simmel der Erfolg seiner Bemühungen nur zu wünschen.

    Erfreut über die guten Nachrichten über des Professors Befinden wün-
    schen wir ihm gute leichte Arbeitsmonate und grüßen allseits herzlich,

    Eitingon  Sachs