S.

Berlin-Grunewald 13.10.1920

Bismarckallee 14

Berlin Nr. 2 Antwort auf Budapest, Wien, London Nr. 1

 

Lieber Herr Professor, liebe Freunde,

Unser erster Bericht, von mir (Abraham) spät nachts nach langer Arbeit geschrieben, war allzu kurz und sachlich. Gern ergreife ich heute die Ge- legenheit, zu sagen, wie sehr wir drei uns mit den ersten Briefen gefreut haben, die in überraschend kurzer Zeit (je drei Tage) hier eintrafen. Und um dieses Mal das Persönliche gebührend zu betonen, sage ich zuerst Jones und Frau unsre herzlichsten Glückwünsche! Ich bitte Sie, lieber Jones, uns auch im nächsten Brief über das Ergehen von Mutter und Kind zu berichten.

Wir können zwar nicht von der Ankunft eines Kindes berichten, aber von derjenigen unsres »dritten Mannes«2, Sachs. Seine Adresse ist »Ber- lin-Grunewald, Humboldtstraße 41, Pension Kruse«. Sachs und ich woh- nen ganz benachbart, kommen daher oft zusammen und haben bereits zwei Komitee-Sitzungen mit Eitingon gehabt.

Sachs spricht am 21. im »Monisten-Bund«über »Das Ubw. und die

Einheit im Seelischen«. Ferner arrangierte er zwei Kurse: 1. Einführung in die psa. Theorie mit besonderer Berücksichtigung der Traumdeutung,

2. Anwendung der Psa. auf die Geisteswissenschaften.

Über unsre ärztlichen Kurse füge ich ein Programm für Rank bei.4

Sachs wird in kurzer Zeit mit didaktischen Analysen bis zur Grenze des Möglichen beschäftigt sein. Drei bis vier sind bereits sicher, dazu eine therapeutische Analyse.5

Zu Analyse und Kursen meldete sich u. a. Dr. Franz G. Alexander aus Budapest. Er gibt an, Dich, l. Ferenczi, zu kennen, und hat mit Frau Révészgearbeitet. Kannst Du uns Näheres über ihn sagen?

Nunbergwird anscheinend nicht hierher kommen. Eventuell reflektiert unser Institut auf Hárnik. Eitingon wird Dir, l. Ferenczi, Genaues schrei- ben. Wir betrachten es als nobile officium, das Institut nach Möglichkeit solchen Kollegen zu öffnen. Falls H. hierher kommt, so darf er neben der poliklinischen Tätigkeit, welche die Vormittage ausfüllen würde, auf ge- nügend private Analysen rechnen, um von Anfang an hier reichlichen Unterhalt zu finden. Seit der Rückkehr vom Kongreß habe ich so viel Konsultationen, daß ich die Patienten auch mit Hilfe der niedergelasse- nen Kollegen nicht bewältigen kann. Ein tüchtiger Analytiker ist also sehr willkommen.

Unsre Vereinssitzungen finden am 2. und 4. Donnerstag jedes Monats statt.

Ein gedrucktes Exemplar unsrer Statuten folgt mit dem nächsten Bericht. Zum Wiener Bericht: Über die Sache Kola hat Sachs eingehend berich- tet. Vorteile und Nachteile des Projektes liegen so auf der Hand, daß wir sie hier nicht zu erörtern brauchen.

Der Plan einer internationalen Diskussion sagt uns sehr zu. Wir bitten um Vorschläge zum Thema. Die Sammlung von Kindergesprächenwerden wir fördern. Ich selbst habe einiges Neue, das ich demnächst ein- sende.

Mit der literarischen Tätigkeit habe ich bei unsern Mitgliedern viel Schwierigkeit. Ich hoffe auf Besserung innerhalb eines Jahres, sobald junge Kräfte herangezogen sind. Jetzt hängt alles an einer zu kleinen Zahl von Personen. Boehm bietet ein Referat an über W. Liepmann9, Psychologie des Weibes.10 Wird ein solches gewünscht?

Ich habe das laufende Referat der speziellen Neurosenlehre11 übernom- men. Solange mir aber nichts Referierbares zu Gesicht kommt, kann ich auch nichts liefern. Den andern geht es auch so! Uns wird keine Literatur zugeschickt, wie etwa dem Verlag. Um den guten Willen zu beweisen, erkläre ich mich schon im Voraus bereit, die italienischen Arbeiten aus dem neuen Journal, falls es gegründet wird, zu übernehmen.

Tannenbaum war während des Kongresses hier, suchte die Poliklinik auf, traf aber niemanden von denen, die er treffen wollte. Hernach hat man nichts mehr von ihm gehört.

Marcinowski (übrigens nicht bei uns, sondern in Wien Mitglied) scheint der einzige in Deutschland zu sein, der auf T[annenbaum] eingegangen ist. Trotzdem M. manche gute Beobachtung veröffentlicht hat, muß ich immer wieder zur Vorsicht mahnen. Seine ärztliche Tätigkeit diskredi- tiert die Psa. aufs Übelste. Die Resultate seiner Analysen bekommen wir oft genug zu sehen. Sie sind in vielen Fällen haarsträubend. Ich sah neu- erdings einen unglaublichen Fall: eine Person, die von M.s Frau12 mona-telang in einer methodisch ganz verkehrten Form behandelt war. Schließ- lich hatte M. sie selbst übernommen und ihr ein schriftliches Exposé über den Aufbau ihrer Neurose diktiert, das sie wie ein Evangelium bei sich trug. Ich habe es gelesen, aber verstehen konnte ich es nicht. Bei M. ist die Psa. mit einem Gebräu von Mystik und allem möglichen ver- mengt.

 

Budapest.

Briefe bitte nicht an mich, sondern an Eitingon (Berlin-Wilmersdorf, Güntzelstraße 2) zu adressieren. Sie gehen dann an Sachs und zuletzt an mich zur Beantwortung.

Für die Einführung der Ödipus-Vignette als obligatorisches Vereinszei- chen können wir uns nicht begeistern. Sieht es nicht zu sehr nach Loge oder Geheimbund aus? In der Korrespondenz mit Uneingeweihten wird es nur Befremden erregen.

 

London.

Eitingon beabsichtigt im Januar nach New York zu gehen13 und erbietet sich, die Angelegenheit Brill persönlich zu ordnen. Vielleicht könnte man Br. seinen Besuch in Aussicht stellen.

Die Stelle eines besonderen Vereinssekretärs für das literarische Gebiet wird Sachs vorläufig inoffiziell übernehmen.

Die Aufnahme neuer Mitglieder allgemein den andern Vereinen mitzu- teilen, um ihr Votum zu erhalten, scheint uns ein zu schwerfälliges und auch kaum nützliches Verfahren.

Der Frage der Diplom-Erteilung stehe ich, wie auch Sachs und Eitingon, sehr skeptisch gegenüber. Gerade Pfister, der die Technik so wenig be- herrscht, will einen solchen Befähigungsnachweis einführen!14

Zur Sache Spielrein: nach unserm Wissen ist Frau Sp. von der Vereini- gung nicht autorisiert, sich dem Institut Bovet gegenüber als unsre offi- zielle Vertreterin zu bezeichnen?

 

Allgemeines.

Wir sind sehr erfreut über die außerordentlich rege Verlagstätigkeit und bedauern nur immer wieder, daß sie Ranks Arbeitskraft ganz aufzehrt. Wie steht es mit englischen Übersetzungen für meine Frau?

Noch ein Vorschlag: Da einstweilen keine Preise verteilt werden können, würde sich eventuell eine ehrenvolle Erwähnung bestimmter Autoren empfehlen. Auf ärztlichem Gebiet käme Stärcke, auf anderm Róheim in erster Linie in Betracht.15 Bitte um Äußerung!

Zum Schluß noch die Bemerkung, daß wir schon jetzt die kaum einge- führte regelmäßige Kommunikation der Komitee-Mitglieder nicht mehr entbehren möchten. Die Idee, lieber Herr Professor, war ausgezeichnet und verdient konsequent durchgeführt zu werden.

Herzlich grüßend

Abraham