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S.
[Briefkopf II Berlin] 15. VI. 09
Lieber Herr Professor,
Ich möchte mit der Beantwortung Ihres letzten Briefes nicht länger zögern und sende Ihnen einige Zeilen, da es nicht sehr viel zu berichten gibt. Es ist kaum anzunehmen, daß ich in die Gegend Ihrer Sommerfrische komme; wenn wir reisen, werden wir wohl ein dänisches Seebad (Gilleleje) aufsuchen. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich, daß ich zur Zeit Ihrer Reise nach Amerika in Bremen bin, wo meine Eltern wohnen. Falls Sie dann nicht anderweitig in Anspruch genommen sind, könnten wir uns vielleicht sehen. Sonst etwas später in Berlin! Die Praxis ist gerade jetzt wieder so lebhaft, daß ich mir eine kleine Ausspannung sehr wünsche.
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S.
Ich weiß, daß es Sie erfreut, wenn ich Ihnen mitteile, daß die Praxis in der ersten Hälfte dieses Jahres schon reichlich 4000 M. eingebracht hat. Ich kann hinzufügen, daß auf dem schwierigen Boden Berlins die meisten sehr viel langsamer vorwärts kommen. Übrigens hat Oppenheim in letzter Zeit wieder sehr nett für mich gesorgt; nur die Zeiten, in denen er besonders stark verdrängt, sind mir ungünstig. Die Literatur wächst jetzt sehr an, und die Zeitschriften wimmeln von Referaten der bekannten Sorte. Lasen Sie das »Hysterische Bellen« von Frl. Chalewska in Zürich? Ein neuer Anhänger scheint Stockmayer in Tübingen zu sein; von ihm sah ich ein gutes Referat der Traumdeutung, zweite Auflage, und eine Reihe andrer. Mit Marcinowski stehe ich in Briefwechsel.
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S.
Er wohnt schon seit zwei Jahren nicht mehr in Berlin. Unser hiesiger Verein schläft schon längere Zeit. Hirschfeld war seit Februar verreist, Juliusburger krank und verreist; von den übrigen, die sich mehr als Zuhörer beteiligt hatten, fragte niemand nach einer Sitzung, und so ließ sich in letzter Zeit nichts machen. Ich hoffe auf den Herbst. – Was Moll betrifft, so ist die Behauptung, meine Vorträge würden seltener, doch eine böswillige Erfindung. Ich habe doch nur einen einzigen im November gehalten, und im Mai einen solchen in »seiner« »Psychologischen Gesellschaft«. Seit einigen Tagen habe ich einen jungen Kollegen in Behandlung, der Fuß- und Kleiderfetischist ist; wir haben vor einiger Zeit ja über diese Fragen korrespondiert. Ich werde Ihnen später
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S.
meine Resultate mitteilen. Ich wüßte nur gern, ob Sie bei solchen Patienten einen therapeutischen Einfluß gesehen haben. Kürzlich sprach ich hier Herrn Kollegen Wittels. Seine plötzliche Heirat kam mir sehr überraschend. Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau, die sich sehr freut, Sie, lieber Herr Professor, bei uns zu sehen, Ihr ergebener
K. Abraham
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