-
S.
[Briefkopf III Berlin] 5. I. 13.
Lieber Herr Professor,
Herzlichen Dank für Ihren Brief und Ihre guten Wünsche, die ich im gleichen Sinne erwidere. Kraus bat mich kurz vor Neujahr, ihn zu besuchen, teilte mir bei meinem Besuch mit, daß er über mich Erkundigungen eingezogen habe, die günstig ausgefallen seien und riet mir, auf jeden Fall eine Habilitationsschrift einzureichen. Er versprach zu tun, was er könne, und ließ sich von mir ein Verzeichnis meiner älteren, nicht psychoanalytischen Arbeiten geben. Er hat zum mindesten dadurch ein freundliches Interesse gezeigt. Sein
-
S.
Einfluß bei der Fakultät ist sehr groß, wenn in meinem Fall auch Bonhoeffer den Ausschlag gibt. Ich werde nun ein möglichst harmloses Thema bearbeiten. Dann muß ich meine alten Verbindungen mobil machen. Bleuler kann Bonhoeffer eventuell günstig beeinflussen. Wichtig ist mir noch, ein oder zwei andere Mitglieder der Fakultät zu gewinnen. An einen der beiden Anatomen, von denen Waldeyer sehr einflußreich ist, kann ich durch meinen ehemaligen Lehrer Keibel in Freiburg i. B. eine wirksame Empfehlung bekommen; ich habe bei diesem in vorhistorischer Zeit mehrere Jahre mikroskopisch gearbeitet. Trotz alledem bin ich in der Sache nicht zu optimistisch. Nun zum Fall Stekel. Ihrer Anregung
-
S.
wäre ich gefolgt, wenn inzwischen nicht die Umstände eingetreten wären, die Sie aus der Beilage ersehen. Ich habe gestern mit Frau Dr. Stöcker darüber telephonisch gesprochen. Stekels Vortrag im Bund für Mutterschutz am 6. Januar kann uns ja gleichgültig sein. Vor dem Konflikt in Wien hatte die Stöcker schon an Stekel die Bitte gerichtet, einen Abend für ein geselliges Beisammensein zu reservieren. Neuerdings hat dann Juliusburger privatim mit Stekel verhandelt, mit ihm den Vortrag am 5. vereinbart und die Stöcker veranlaßt, den Vortrag und das gesellige Beisammensein auf einen Abend zusammenzulegen. Wer nun diesen wissenschaftlichen Abend zieren wird, ist mir noch unklar. Ich selbst habe
-
S.
der Stöcker natürlich abgesagt mit der Begründung, daß ich mich durch Stekels Verhalten zu sehr von ihm abgestoßen fühle. Zugleich habe ich ihr mein Befremden ausgedrückt, daß zwei Mitglieder unsrer Gruppe unter Umgehung der vorhandenen Organisation einen solchen Abend arrangieren. Sie rief mich dann an, und ich hatte das oben erwähnte Gespräch mit ihr. Sie war sehr in Verlegenheit, daß sie sich an der etwas eigenartigen Veranstaltung beteiligt hatte, und billigte meinen Standpunkt durchaus. Es ist schlimm, daß es uns hier ganz an brauchbaren Menschen fehlt. Juliusburger muß man manches nachsehen, d.h. auf Konto seiner Neurose setzen. Er ist ganz mit
-
S.
Ethik geladen und hat daneben einen starken Bedarf an Vätern, für die er sich begeistert, um von jedem nach einiger Zeit wieder abzufallen. Nach seinem Briefwechsel mit Ihnen war er voller Widerstände, an denen es zwar früher auch nicht gefehlt hatte. Er hat leider auch vor einem Jahr die Stöcker eingeführt, die besser nicht eingetreten wäre. – – Ich hoffe, wir sind in einiger Zeit über die ganze leidige Affäre hinaus. Nach obiger Darstellung sehen Sie, lieber Herr Professor, wohl, daß ich auf die Aufnahme Stekels in Berlin keinen Einfluß ausüben kann. Fernbleiben ist das einzige; von Eitingon weiß ich, daß er es ebenso macht. –
-
S.
Rankestraße 24
Berlin 10789
Duitsland
Berggasse 19
Wien 1090
Oostenryk
C15F4