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    [Briefkopf III Berlin] 29. I. 13.

    Lieber Herr Professor,

    Nach dem Ereignis vom Sonntag wird bei Ihnen jetzt wieder alles im gewohnten Geleise gehen, und so darf ich Ihnen heute wohl einiges Politische und Wissenschaftliche mitteilen. Im Anschluß an Stekels nicht-öffentlichen Vortrag – und wohl auf seine Anregung – hat sich ein Komitee aus wider- standsbegabten Leuten gebildet, um eine Gesellschaft für Sexualwissenschaft zu gründen. Ich war zur vorbereitenden Sitzung eingeladen. Die Sache wird uns sicher nicht schaden, vielleicht kann man sie sogar ein bißchen benutzen, um diese und jene Vorurteile zu zerstören. Ich schreibe davon nur, weil ich einen interessanten Brief von Stekel sah, der mir darauf hinzudeuten scheint, daß das Zentralblatt zu kollabieren droht. St. bietet der neuen Gesellschaft sein Blatt als Vereinsorgan an und will es erweitern zu einem »Zentralblatt für analytische Seelenkunde, mit besonderer Berücksichtigung der Sexualpsychologie und Sexualbiologie«, womit der Verleger einverstanden sei. Er empfiehlt den neuen Titel als »ausgezeichnet« mit der tiefsinnigen Begründung: »weil doch jede Auflösung einer Krankheit eine Analyse ist«. Man hat aber für das Angebot gedankt. Dieser Versuch des Anschlusses an eine noch nicht geborene Vereinigung zeigt doch, wie wenig 

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    existenzfähig das Blatt ist. Wunderschön ist noch ein Zusatz, durch den Stekel die Sexualforscher zu ködern sucht: »Die Herren kommen sämtlich auf den Umschlag.« Man möchte mit Adler sagen: eine herrliche Gelegenheit zum Obensein. Mit großer Freude habe ich heute das erste Heft unsrer Zeitschrift empfangen. Inhalt, redaktionelle Technik und äußere Ausstattung sind vortrefflich. Der Eindruck ist viel besser als der des Zentralblattes. Ich verspreche Ihnen weitere fleißige Mitarbeit. – – Von einem paranoischen Patienten habe ich in der Analyse folgende, wörtlich notierte Äußerungen erhalten: »Ich suche zunächst jedem Menschen näher zu kommen, richte mich aber von vornherein auf Abbruch der Beziehungen ein.« »Ich bin von vornherein bereit, jedem Menschen jede schlechte Absicht gegen mich zuzutrauen.« Ich finde, daß diese Äußerungen vortrefflich zu Ihren in der Schreber-Arbeit dargestellten Ansichten passen. Ich habe bestimmte Gründe, vorläufig nichts aus dieser Analyse zu publizieren. Dagegen bitte ich Sie, von folgendem eventuell Gebrauch zu machen. Sie sprachen mit mir in Wien über die Erhebung des getöteten Vaters zum Gott. Ein Patient lieferte folgenden schönen Beleg dazu. Er hat durch längere Zeit eine Reihe von Ödipus- Träumen, die sich auf den Besitz seiner Stiefmutter und den Tod des Vaters beziehen. Auf eine Reihe solcher Träume folgte einer, in welchem Pat. in den Himmel hinaufsteigt. Er findet dort Gott mit den Zügen seines Vaters auf dem Thron. Das 

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    Hinaufsteigen in den Himmel hat offensichtlich zwei Bedeutungen: 1.) Koitus mit der Stiefmutter, 2.) der Pat. überzeugt sich, daß der Vater im Himmel, d.h. tot ist, und erhebt dann den Toten zum Gotte. In der Habilitations-Sache nichts Neues. Ich fange demnächst eine Habilitations-Arbeit an, wahrscheinlich werde ich Assoziations-Versuche bei seniler Demenz vornehmen. Jedenfalls ein unverfängliches Thema. Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus Ihr ergebener Abraham