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    [Briefkopf III Berlin] 2. IV. 14 Lieber Herr Professor, Gestern habe ich die bei mir eingelaufenen Beiträge zum Jahrbuch an Hitschmann abgesandt und die Nachzügler der Zeitersparnis halber aufgefordert, ihre Manuskripte direkt an Hitsch- mann zu schicken. Ich durfte wohl auf die Durchsicht dieser Manuskripte verzichten, weil es sich um unsre zuverlässigsten Mitarbeiter handelt (Jones, Sachs, Ferenczi). Mein Manuskript sieht etwas bunt aus, teils Handschrift teils Maschine. Aber es blieb keine Zeit, es besser zu machen. Auch werde ich bei der Korrektur noch zu feilen haben. Mir scheint, daß man Sadger bitten sollte, seine Kritik der Stekelschen Arbeiten zu verkürzen; ich glaube es lohnt sich nicht, da so viel Worte zu machen. Ich habe es ihm nicht selbst geschrieben, weil ich dachte, erst Ihre Meinung zu hören. Nun zu Ihren beiden Manuskripten. Über die »Geschichte« schrieb ich ja schon. Ich habe sie wiederholt gelesen und sehe immer mehr, eine wie wichtige Waffe sie ist. Nach vielem Überlegen meine ich auch, das Persönliche solle alles so bleiben wie es ist. Nur einen einzigen Ausdruck sähe ich gern vermieden. Sie sagen von Adler, wie er sich über Ihre Verfolgungen beklagt hat. Ich fürchte, dieses Wort könnte Unheil anrichten. A. wird sich dagegen wehren, als paranoisch bezeichnet zu werden. Ein weniger

     

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    nach pathologischer Auffassung klingender Ausdruck – wie etwa »Anfeindungen« – wäre wohl vorzuziehen. Warum Sie mit dem »Narzißmus« unzufrieden sind, sehe ich nicht recht ein. Ich finde die ganze Arbeit glänzend, und in allem vollkommen überzeugend. Ich will nicht genauer auf den Gedankengang eingehen, sondern nur eins herausheben, nämlich die ganz besonders gelungene Analyse des Beobachtungswahnes, seiner Beziehung zum Gewissen etc. Praktisch besonders wertvoll sind die Ausführungen über das Ichideal. Diese Ausführungen lagen mir schon lange im Sinn, und bei jedem Satz, den ich las, konnte ich schon den weiteren Inhalt ahnen. Namentlich die Trennung von Ichideal und eigentlicher Sublimierung ist etwas, was ich meinen Patienten immer auseinandergesetzt habe, ohne es in so präzise Fassung zu bringen. Dürfte ich hier noch einen Vorschlag machen? Ich glaube, hier ließe sich der Gegensatz der Jungschen Therapie zur Psychoanalyse am allerschärfsten herausheben. Die »Lebensaufgabe« und alles ähnliche (die prospektive Tendenz des Unbewußten inbegriffen) ist doch nichts andres als ein Appell an das Ich ideal und damit ein Weg, der an den wirklichen Sublimierungsmöglichkeiten vorbeiführt (mit der unbewußten Absicht, sie zu meiden). Vielleicht wäre ein darauf bezüglicher Passus nützlich? Auf den »Moses« bin ich nun sehr gespannt. Aber X X X ist mir nicht ganz verständlich. Glauben Sie nicht, daß man die Klaue des Löwen doch erkennen wird?

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    Von Jung erhielt ich Nachricht, daß Dresden als Kongreßort gewählt sei, mit 44 gegen 36 Stimmen, die auf München entfielen. Wie dieses Stimmenverhältnis herauskommt, ist mir unklar, denn Berlin hat 18, London 15 Stimmen für Dresden abgegeben, und ich kann kaum glauben, daß Wien und Budapest zusammen nur 11 aufgebracht haben sollen. Jung schlägt als Kongreßtage den 4./5. September vor, mit Rücksicht auf den Internationalen Neurologen-Kongreß in Bern (7. September und folgende Tage). Da ich Jung in letzterer Beziehung noch keine bestimmte Antwort gegeben habe, wäre mir Ihre Ansicht willkommen. Unsre Gruppe wird im Mai eine Sitzung mit dem Thema der Ödipus-Einstellung im Kindesalter haben. Ich hoffe, die Voten werden wenigstens zum Teil der Veröffentlichung wert sein. Vor wenigen Tagen ist die Pollaksche Radierung eingetroffen. Ich finde, am besten ist die Körperhaltung getroffen, während man sich in den Gesichtsausdruck zuerst etwas hineinsehen muß. Aber dann ist er gut. Die ganze Ausführung, besonders die Verteilung von Schwarz und Weiß, ist sehr gelungen. Vor kurzem habe ich durch Zufall von einem Antiquar Ihre Coca-Arbeit (1885) erhalten und sie gestern gelesen. Ich hoffe, Ihr Befinden, lieber Herr Professor, hat

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    sich inzwischen wieder gebessert. Auch Ihr Enkel wird, wie ich hoffe, gute Fortschritte gemacht haben und den Lustwert des Saugens nicht länger verkennen. Übrigens haben wir mit beiden Kindern diese Not gehabt! Unsre projektierte Italienreise kann leider nicht stattfinden. Unser Kleiner bekam vor drei Wochen eine Angina, danach eine Lymphdrüseninfektion, fieberte 14 Tage lang und ist jetzt eben genesen. Augenblicklich liegt die Ältere. Meine Frau kann die Kinder jetzt nicht verlassen; so haben wir die Reise auf den Schluß der Sommerferien verschoben und werden, wenn die Kin- der reisen können, am Sonntag mit ihnen auf eine Woche in den Frankenwald gehen, wo wir in einer alten Burg romantische, hoffentlich auch gute Unterkunft gefunden haben. Was im Sommer wird, ist auch bei uns noch unklar. Vielleicht muß der Kleine an die See, dann würde meine Frau eventuell mit den Kindern reisen; wir zwei könnten dann hernach Tirol und Norditalien besuchen, könnten uns etwaigen Vorschlägen von Ihnen ganz anpassen. Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau, für Sie und die Ihrigen Ihr Karl Abraham