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B.[erlin], 28. 10. 1914 Lieber Herr Professor, Dieser Brief soll das Manuskript begleiten, das ich Ihnen schon so lange schulde. Ich bin auch jetzt tief in der Lazarett-Arbeit; die paar übrigen Stunden zehrt die Praxis auf. Vielleicht ist Rank so freundlich, die kleine Korrekturarbeit für mich zu erledigen, damit das Hin- und Hersenden in diesen unsicheren Zeiten vermieden wird. – In guter mütterlicher Pflege wird Ihr Martin sich gewiß rasch erholen. Ihren beiden militärpflichtigen Söhnen wünsche ich weiter alles Gute! Natürlich den friedlichen Familienmitgliedern nicht minder. Ich bin neugierig, was aus Reik wird. Müssen andre unsrer Freunde noch als Landstürmler mit? Von Eitingon habe ich seit langem nichts gehört. Wissen Sie etwas von ihm? Ich selbst bin vorläufig hier. Es ist aber nicht unmöglich, daß ich noch in ein auswärtiges Lazarett gehen muß. Wie steht es in dieser Hinsicht mit Ferenczi? Die Praxis geht ihren ruhigen, täglich drei- bis vierstündigen Gang. Ich behandle seit kurzem
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einen Ihrer früheren Patienten, Dr. Veneziani. Von Frau Hi . . . habe ich nichts mehr vernom- men. Mit der Angelegenheit Ihrer Nichte bin ich noch immer beschäftigt. Der Bräutigam hat außerhalb Berlins wieder schwere Anfälle gehabt, lag längere Zeit mit genähten Wunden. Sie hat Vernunft angenommen und ist zum Verzicht bereit; nur der Modus der Lösung macht Schwierigkeiten. Herrlich ist der Gedanke an künftige, friedliche Reisen. Aber man mag noch kaum daran denken. Wir wären auch sehr für Berchtesgaden. Warten wir’s mit psychoanalytischer Geduld ab! Ich will unsre zusammengeschmolzene Gruppe jetzt mal zu einer zwanglosen Sitzung einberufen. Viel wissenschaftliches Leben wird es kaum geben. Draußen im Feld sind jetzt schwere Tage. Aber im Ganzen ist man doch voll Zuversicht. Sogar der Humor erwacht wieder mehr und mehr. In einem Uniform- und Modewarengeschäft sieht man ein Plakat: »Feldgrau, die große Mode von 1914«. Unter den witzigen Verdeutschungen englischer Wörter und Namen gibt es eine sehr gute: Wie verdeutscht man Shakespeare? Ant- wort: »Schütte-Lanz«.
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Zu den heiteren Momenten in dieser ernsten Zeit gehört auch ein Brief von Stockmayer aus dem Felde, in dem er nach zehnmonatigem Zögern seinen Austritt erklärt; er habe infolge der Mobilmachung bisher nicht dazu kommen können. Während ich dies schreibe, trifft die Honorarsendung von Deuticke ein. Er berechnet zu meiner angenehmen Überraschung den Druckbogen jetzt mit M. 60.–, hat mir auch zum Redaktionshonorar M. 25.– als Auslagen-Pauschale hinzugefügt. Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau, für Sie, die Ihrigen und die Unsrigen Ihr Karl Abraham
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