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    [Briefkopf III Berlin] 16. 6. 14 Lieber Herr Professor, Eine zufällige freie Stunde ermöglicht es mir, Ihnen sogleich zu antworten. Es ist sehr schön, daß Sie selbst jetzt so zufrieden und zuversichtlich über Ihr Befinden schreiben. Hoffentlich treffe ich Sie im August in Seis bereits recht erholt. Natürlich bleibt es bis zuletzt etwas unsicher, ob meine Frau so lange von den Kindern gehen kann, daß eine Reise nach Tirol sich lohnt. Wir hoffen, eine gute Vertretung für sie zu bekommen, es ist aber noch unsicher. Ich selbst könnte natürlich reisen und komme auf alle Fälle. Daß Sie mit dem Jahrbuch zufrieden sind, höre ich gewiß gern, nur müssen Sie, lieber Herr Professor, mir nicht dafür danken. Ich glaube wirklich, aller Grund zum Dank liegt auf meiner Seite. Viel Arbeit war es ja, besonders auch wieder in den letzten Wochen, zumal die Korrekturen so schlecht waren. (In meinem Sammelreferat waren zwei Manuskriptseiten einfach ausgelassen.) Aber das ist nun überstanden, und ich glaube, wir werden an dem fertigen Band alle unsre Freude haben. Die Mängel einzelner Referate habe ich wohl bemerkt, aber man konnte bei der Kürze der Zeit nicht noch mehr verlangen. Ich bin froh, 

     

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    daß keiner der Mitarbeiter versagt hat. Den Passus betr. Libidorückziehung sende ich in veränderter Fassung mit. Wenn Sie ihn so billigen, senden Sie ihn mir doch einfach in einem Couvert zurück, eventuell bringen Sie bitte Änderungen an. Ich werde bei der zweiten Korrektur davon Gebrauch machen. Ferenczi werde ich noch schreiben; ich habe dasselbe Manko wie Sie wahrgenommen (Ambivalenz). Mit meinem Beitrag zum Jahrbuch (Schaulust) bin ich nicht so zufrieden wie Sie. Ich hätte manches wirklich besser gestalten können, aber die Zeit hat es nicht zugelassen. Die politischen Fragen Ihrer letzten Briefe habe ich direkt an Rank beantwortet. Wegen des von mir geplanten Briefes an Maeder und Seif kommt mir nachträglich ein Bedenken. Ich habe absichtlich so ruhig wie möglich geschrieben; das kontrastiert nun sehr mit der »Bombe«. Es könnte also wie eine Falschheit aussehen, wenn ich die beiden Gruppen in aller Liebenswürdigkeit um ihre Meinung bitte. Vielleicht ist aber nur die Fassung des Schreibens zu ändern; ich finde im übrigen diesen Weg wirklich allein richtig. In der hiesigen Gruppe geht es ganz gut; jedenfalls ist in bezug auf Jung alles der gleichen Meinung. Nur Stockmayer hat sich seit unsrer Diskussion im Januar (über Jung) von den Sitzungen ferngehalten

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    und durchaus kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Ich glaube, er bleibt nicht in Berlin. Er ist ein netter, anständiger Mensch, aber sein Fehlen ist kein Verlust für uns. Für das kommende Jahrbuch liegt bis jetzt ein brauchbarer Beitrag von Sadger (über Inversion) vor. Reik versprach mir eine größere Arbeit zur Affektlehre. Der referierende Teil wird an Umfang natürlich viel kleiner sein als dieses Mal, dafür aber hoffentlich allen Ansprüchen genügen. Ich werde gegen Ende des Jahres alle 1914 erschienenen Schriften auf Karten schreiben lassen und jedem Referenten sein Pensum zustellen. Mir scheint, der Band sollte April 1915 erscheinen, der Einsendungstermin wäre also auf Ende Januar anzusetzen. Die Arbeit für die Referenten kann nicht allzu groß werden, sodaß ein bis eineinhalb Monate genügen werden. Was sagen Sie zu Pfister? Er ist offenbar völlig zu Jung hinüber. Reik erzählte mir von einer neuen Arbeit, in der Pf. es direkt sagt. Ich erhielt kürzlich von ihm einen Aufsatz »Echnaton«, der einige mir unterlaufene Irrtümer richtig stellt, aber dann auch das Unbestreitbare angreift und jeden psychoanalytischen Gesichtspunkt verliert, statt dessen in theologischen Schwulst ausmündet.

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    Wenn wir die Schweizer los werden, so ist die Beseitigung der Theologen nicht der geringste unter den Vorteilen. Wenn wir uns im Sommer sehen, bringe ich Ihnen schönes Material zum »Verschreiben« mit. Ich bin vor einigen Monaten aus dem abstinenten Ärzteverband ausgetreten. Aus der Korrespondenz, die sich daran schloß, ist ein Brief von Maier in Zürich ganz köstlich. Ich hoffe, mit dem Heufieber Ihrer Tochter ist es nicht schlimm geworden. Übrigens will ich bei der Gelegenheit erwähnen, daß mein 1911 analysierter Heufieber-Fall (es ist Kollege Liebermann hier) sich sehr gut hält. 1912 war er völlig frei, 1913 waren ganz unbeträchtliche Beschwerden da. In diesem Jahre unter der Wirkung schwerer psychischer Einflüsse geringe Beschwerden, z.B. einmal beim Besuch der Mutter leichtes Asthma. Aber der Zustand ist so, daß die Arbeitsfähigkeit nicht leidet. Ich bin bis zu den Ferien mit Behandlungen überlastet und komme darum in den sogenannten Mußestunden zu nichts anderm als Korrekturen und Schreibereien. Die vor einiger Zeit avi- sierten Arbeiten liegen seit mehreren Wochen unberührt. Herzlichste Grüße von Haus zu Haus, Ihr Karl Abraham