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B.[erlin] 30. I. 15 Lieber Herr Professor, Mein letzter Brief ist offenbar nicht in Ihre Hände gelangt. Ich wartete auch täglich auf Antwort von Ihnen! Hoffentlich erreicht dieser Brief sein Ziel. Daß unsre Zeitschriften weiter erscheinen sollen, höre ich gern. Heller läuft freilich ein gewisses Risiko, da doch viele Abonnenten von ihren Wohnorten auf unbestimmte Zeit abwesend sind. Ich will sehen, wieviel ich mitarbeiten kann. In letzter Zeit war ich durch Lazarett und Praxis ganz absorbiert. Ich könnte bedeutend mehr analytische Patienten haben, wenn ich nicht das Lazarett hätte. In den letzten vier Wochen hatte ich eine Menge von Konsultationen. Vielleicht wird Liebermann, der fünf Monate in den Vogesen steht, demnächst nach Berlin zurückversetzt und kann mich dann wieder unterstützen. Er hat übrigens das Eiserne Kreuz erhalten. Leider ist von Stegmann auf keinem Wege Nachricht zu erhalten gewesen; niemand weiß, was aus ihm geworden ist.
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Um auf unsre Zeitschriften zurückzukommen: ich habe eine kleine Abhandlung über die Beziehungen von Hunger und Libido angefangen, die statt Theorien à la Jung hauptsächlich analytisch festgestellte Tatsachen und die Schlußfolgerungen daraus bringen soll. Wann ich damit fertig werde, hängt, wie Sie wissen, wenig von mir ab. Es scheint nun, daß in Ihrem Hause ebenso wie bei uns alles wieder auf dem Posten ist. Ich möchte Sie besonders bitten, mir im nächsten Brief zu berichten, was Sie von Ihren Söhnen hören. In dem verlorenen Brief war u.a. mein Dank für die »Drei Abhandlungen« enthalten, nebst einigen Bemerkungen darüber. Ich wiederhole ihn also nochmals. Im Lazarett fällt mir auf, wie wenige Leute mit eigentlichen Neurosen behaftet sind. Ich sah eine Reihe der aus Friedenszeit bekannten traumatischen Neurosen in typischer Ausprägung. Es waren alles Leute, die im Felde einen Unfall erlitten hatten, etwa Überfahrenwerden; sie hatten keine Schußverletzungen. Schwere Hysterien sah ich mehrere bei Leuten, die von einer Explosion bewußtlos geworden waren. Sie haben
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meist Aphasie-Abasie und hysterische Anfälle. Von Eitingon hatte ich vor einigen Wochen Bericht aus Igló. Sonst hörte ich von niemandem. Den Plan der Reise nach Wien gebe ich nicht auf; aber er muß noch etwas auf Erfüllung warten. Mit herzlichen Grüßen – auch von meiner Frau – für Sie und die Ihrigen in Wien und draußen Ihr Karl Abraham
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