• S.

    [Briefkopf III Berlin] 10. V. 14. Lieber Herr Professor, Erst heute kann ich Ihnen für Ihr Telegramm und Ihre schriftlichen Mitteilungen danken, da der Verband mir wenigstens die Finger frei läßt. Ich laborierte die ganze Woche an einem Furunkel auf dem rechten Handgelenk mit sehr unangenehmer Lymphangitis. Jetzt ist die Sache in Heilung. Und da es kein »Hundebiß« war, so sind auch die Folgen für unsre Korrespon- denz schon beinahe behoben! Daß Sie, lieber Herr Professor, und die nächsten Freunde mir das Präsidium zugedacht haben, ist mir an sich eine große Freude und Genugtuung, und ich danke Ihnen allen herzlich für Ihr Vertrauen. Zur provisorischen Übernahme hatte ich mich ja auch schon bereit erklärt. Aber Sie scheinen mich zum dauernden Präsidenten haben zu wollen. Ich habe mir das lange überlegt. Auf meinen früheren Vorschlag (Jones) komme ich nicht zurück, weil ich einsehe, daß London zu exzentrisch liegt, und daß namentlich die Leitung des Korrespondenzblattes von dort sehr erschwert sein würde. Der wichtigste Einwand gegen meinen Vorsitz stammt eigentlich von Ihnen selbst. Wenn eine abgespaltene Gruppe mit dem Namen Psychoanalyse Mißbrauch treibt, so sollten Sie selbst an der Spitze der legitimen Bewegung stehen, schon damit jeder weiß,

     

  • S.

    welches die Freudsche Psychoanalyse ist. Dieser Ansicht waren Sie selbst, als wir im Winter davon sprachen. Andrerseits – und darüber sprach ich in den letzten Tagen mit Sachs – sollten Sie nicht mit neuen Geschäften belastet werden. Da bin ich nun auf einen Ausweg geraten, und hoffe, daß Sie ihn für gangbar halten. Die eigentlichen Präsidialgeschäfte würde ich, oder wer sonst definitiv gewählt wird, übernehmen; mein Vorschlag ermöglicht dennoch, daß Sie offiziell an der Spitze stünden und den wissenschaftlichen Teil der Kongresse leiteten. Ich meine, man sollte, wie das ja auch in andern wissenschaftlichen Vereinen üblich, Ihnen das ständige Ehrenpräsidium übertragen. Was meine Person betrifft, so will ich gar nicht viel von Insuffizienzgefühlen reden, denn ich traue mir zu, es besser zu machen als mein Vorgänger. Wenn ich mich aber an die ersten Kongresse erinnere, so verdankten sie ihre vortreffliche Stimmung und vieles andre Ihrer Leitung. Auch mit bestem Willen kann keiner von uns andern dem Kongreß diesen Charakter, den er in München verlor, wiedergeben. Die geschäftliche Berichterstattung und der Vorsitz der geschäftlichen Sitzungen würden dem ordentlichen Vorsitzenden zufallen, genau wie alle Geschäfte während des Jahres. Sie würden lediglich an den zwei Kongreßtagen in Funktion treten und könnten sich dabei auch ablösen lassen, falls es Ihnen zu viel wird; doch das kann kaum eintreten. Sachs fand den Vorschlag sofort einleuchtend. Ich wäre sehr froh, wenn auch Sie ihm zustimmten. Daß Sie sich für das Kongreßdatum jetzt interessieren,

  • S.

    habe ich gern bemerkt. Jung hatte 4./5. September vorgeschlagen. Ich habe ihm damals geantwortet, ich würde zunächst in unsrer Gruppe Umfrage halten. Jung wünschte diese Tage, weil sich der Berner Internationale Neurologen-Kongreß daran anschließt (7.-12. September). Dem kann man entgegenhalten, daß gerade am 5. der Deutsche Neurologen-Kongreß ebenfalls in Bern tagt. Also wird man nicht vor dem 13. September tagen können. Unsre Gruppe war für 13./14. September. Doch wäre allen sicher auch ein etwas späterer Termin, etwa 19./20. oder 20./21. recht. Oder wäre Ihnen 26./27. noch lieber? Ich beabsichtige, den europäischen Gruppen das am günstigsten scheinende Datum zur Entscheidung vorzulegen. Können Sie mir auf einer Karte kurz Ihre Ansicht mitteilen? Das Korrespondenz-Blatt bereite ich schnellstens vor. Ich werde die Gruppen um ihre Berichte bitten. Ein bißchen in Verlegenheit bin ich wegen des Sekretärs. Eitingon hat sich erboten, ich fürchte nur, er wird nicht flott genug arbeiten. Auch Reik erbot sich. Wahrscheinlich werde ich Frau Dr. Horney nehmen, die sich als Sekretärin unsrer Gruppe sehr bewährt, d.h. sie kann im Bureau ihres Mannes alle Vervielfältigungen und sonstigen Arbeiten rasch herstellen lassen. Es kommt mir aber sehr darauf an, daß jetzt alles prompt funktionier. Ich dachte, der Druck des Jahrbuchs gehe gut vonstatten,

  • S.

    da ich schon lange die Fahnen von Federns Aufsatz habe. Hoffentlich tritt keine Verzögerung ein. Reik trug uns in der letzten Sitzung sehr hübsch über das Männerwochenbett vor; er will die erweiterte Arbeit unter dem Titel »Vater-Riten« dem Jahrbuch geben. Von Stärcke habe ich das große Manuskript mit 18 Tafeln, das schon früher bei Jung war. Ich sehe es genau durch, wir werden es aber kaum nehmen können, auch nicht teilweise, wie St. jetzt vorschlägt. Unsre Sommerpläne nehmen allmählich folgende Gestalt an. Mit Beginn der Schulferien (4. Juli) wird meine Frau wohl mit den Kindern in ein mecklenburgisches Ostseebad gehen und dort vier Wochen bleiben. Ich werde ca. am 25. Juli Ferien machen, zunächst noch ca. eine Woche mit Frau und Kindern an der See sein. Dann wollen wir die Kinder heimbringen und zu zweien nach Tirol gehen. Wir möchten eine Dolomiten-Wanderung machen und würden dann, ganz gleich wo Sie und die Ihrigen sind, den Weg zu Ihnen finden. Ich glaube, bis wir uns im Sommer treffen, hat sich in der Schweiz alles entschieden. Ihre »Geschichte« im Jahrbuch wird Jung (und mit ihm die Seinen) zum Austritt bewegen. Dann wer- den wir Freude vom Kongreß haben. Ich bereite für Imago eine Arbeit vor über den Gruß. Auf dem Kongreß – wenn er in unserm Sinn zustande kommt – möchte ich über psychoanalytische Therapie der Geisteskrankheiten sprechen. Herzliche Grüße Ihnen und den Ihrigen, auch von meiner Frau! Ihr Karl Abraham