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B.[erlin] 6. XII. 14 Lieber Herr Professor, Der Inhalt Ihres letzten Briefes hat mich so sehr interessiert und erfreut. Man hört sonst nur von Schützengräben, Gefangenenzahlen etc.; da kommt mal ein Zeichen, daß unsre Wissen- schaft auch noch lebt. Ich bin sehr gespannt, welche neue Ideen in der kurzen Zeit, seit wir uns sahen, in Ihnen gereift sind und wünsche mir sehr, zwischen Weihnachten und Neujahr nach Wien kommen zu können. Es ist aber sehr fraglich; ich weiß ja nicht einmal, ob ich in meiner bisherigen Lazarettätigkeit bleibe. Inzwischen werden wir vielleicht das Vergnügen haben, Ihre Frau auf der Rückreise von Hamburg bei uns zu sehen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sie uns ein paar Stunden schenken würde. Es ist schön, daß Sie sich so arbeitsfreudig fühlen. Mir geht es in dieser Beziehung auch ganz gut. Trotz fehlender Sommererholung halte ich das große Arbeitsquantum gut aus. Die Praxis hält sich noch auf drei bis vier Stunden täglich. Möglicherweise schlägt die Landsturmaushebung aber eine Bresche in die kleine Patientenschar.
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Über Rank und die andern Freunde halten Sie mich wohl weiter auf dem laufenden. Wissenschaftlich kann ich hier jetzt mit unsrer Vereinigung nichts anfangen, da fast alle fort sind, und die paar Zurückgebliebenen sind, besonders jetzt, nicht genügend interessiert. Was soll mit dem nächsten Jahrbuch werden? Ich habe bisher nur eine Arbeit von Sadger liegen. Von Ihnen wäre wohl die große Arbeit, von der Sie mehrfach schrieben, zu erwarten. Reik hat mir mitgeteilt, daß es mit seinem Beitrag nichts wird. Die Referierarbeit wäre wohl zu bewältigen; aber an Originalien würden wir, glaube ich, Mangel leiden. Ich selbst kann nicht dafür einstehen, daß ich in den nächsten Monaten etwas fertig bringe. Das Lazarett absorbiert zuviel Zeit. Außerdem dürfte das diesjährige Jahrbuch kaum abgesetzt sein, und so wird auch Deuticke wohl Schwierigkeiten machen. Was soll also werden? Liebermann schrieb mir, daß er wenig beschäftigt ist und gern Psychoanalytisches lesen möchte. Da ich das Jahrbuch der Post jetzt nicht anvertrauen möchte, bitte ich Sie, ihm einen Sonderabdruck vom Narzißmus zu senden, wenn Sie einen übrig haben. Seine Adresse ist: Oberarzt Dr. H. Liebermann , Schirmeck i/El- sass, Postlagernd.
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S.
Sie selbst, lieber Herr Professor, haben, wie ich weiß, bereits ein größeres Manuskript liegen; Sie erwähnen im letzten Brief, daß Reik etwas zustande gebracht habe, von dem ja auch die Couvade noch ungedruckt ist. Bei Jones könnten wir durch van Emden anfragen, ob er etwas hat. Ferenczi, Rank und Sachs werden sicher etwas beitragen. Von Sadger liegt schon ein Manuskript. Ich selbst will jetzt an die Ausarbeitung der Ejaculatio praecox gehen. Dem allen könnte man vielleicht Miscellanea hinzufügen. Was darüber hinaus im Laufe des kommenden Jahres gearbeitet wird, würde den Grundstock für unsre drei Periodika im Jahre 1916 bilden, wo sie wieder alle selbständig erscheinen könnten. Wenn Ihnen der Vorschlag diskutabel erscheint, so sprechen Sie wohl mit den dortigen Freunden darüber. Ihr augenblicklicher Pessimismus würde mich betrüben, wenn er nicht auf eine Zeit besonderer Produktivität gefolgt wäre. Solche Resultate wie die neulich von Ihnen angedeuteten fallen wohl nicht alle Tage vom Himmel; aber ebenso sicher ist, daß sie sich erneuern. Wenn ich Sie, wie ich hoffe, in einiger Zeit sehe, so werden Sie mir gewiß wieder von neuen Ideen und Funden sprechen. Freilich, so gut
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S.
wie Frau Salomé mit den sechs großen Brüdern hat es nicht jeder. Immerhin sind jetzt so etwa sechs kleine, aber getreue Mitarbeiter da, die es sich angelegen sein lassen, in solchen Zeiten Ihrer Stimmung etwas aufzuhelfen. Die Kriegslage ist für uns, glaube ich, günstiger als wir wissen. Besonders scheint das russische Heer ganz allgemein demoralisiert zu sein. Man hört hier viel von Friedenswünschen unsrer Feinde reden, weiß aber nicht, ob man darauf etwas geben soll. Mißlich ist der augenblickliche Rückschlag in Serbien; es ist wohl zu vermuten, daß die Serben von außen her Sukkurs erhalten haben. Ich hoffe nächstes Mal nur Gutes von Ihnen und den Ihrigen, auch Ihren Söhnen, zu hören und bin mit herzlichen Grüßen für Sie alle – auch namens meiner Frau Ihr Karl Abraham
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