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    [Briefkopf III Berlin] 19. 11. 14 Lieber Herr Professor, Die Korrektur, die Sie mir sandten, zeigt mir, daß die wissenschaftlichen Mühlen nicht völlig stillstehen. Der Artikel hat mich im Ganzen und in allen Einzelheiten sehr überzeugt. Im Interesse des Anfängers erlaube ich mir vorzuschlagen, einem Abschnitt eine etwas erweiterte Form zu geben. Auf Fahne 3 enthält Zeile 7- 121 eine Erfahrung, die der Eingeweihte sofort begreift, während der Unerfahrene eine etwas ausführlichere Begründung vermissen wird. Diese technischen Aufsätze kommen mir jedes Mal wie gerufen; der neuste hat mir in den letzten Tagen einen guten Ratschlag für eine schwierige Behandlung erteilt! Ich treibe in der Regel drei bis vier Stunden Praxis. Es gibt nach meiner Erfahrung jetzt nur eine Kategorie von Patienten, die sich in Behandlung begeben (resp. aus finanziellen Gründen begeben können): unverheiratete Männer mit ererbtem Vermögen. Das trifft auf alle meine Patienten zu. Dr. Venez.[iani], über den Sie mir schrieben, wird demnächst die Behandlung verlassen; seinem Narzißmus ist nicht

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    beizukommen. Zeitschrift und Imago sind angelangt, ebenso Psychoanalytical Review, aber erst zum geringsten Teil gelesen. Hoffentlich wird es Ihren beiden Söhnen im Feld weiter gut ergehen. Die Stimmung ist hier gegenwärtig sehr positiv erwartungsvoll. Über manches würde ich mich gern auslassen, aber schriftlich geht es ja nicht. – Zur Durchsicht Ihres großen Manuskripts käme ich gern nach Wien, doch weiß ich noch nicht, ob ich in absehbarer Zeit werde reisen können. Vielleicht zwischen Weihnachten und Neujahr. Für die Nachrichten über unsre Freunde besten Dank! Kürzlich fragte Liebermann, der in den Vogesen steht, ob er Ihnen wohl eine Karte senden dürfe, d.h. ob Sie es nicht aufdringlich fänden. Ich habe ihm zugeredet; er würde sich mit ein paar Zeilen von Ihnen gewiß sehr freuen. Von Eitingon habe ich seit langem nicht direkt gehört. Gestern erfuhr ich, daß Stegmann verwundet und in französische Gefangenschaft geraten sei, wie es ja schon einer Reihe von Ärzten gegangen ist. Im Lazarett habe ich mit meinen 50 Kranken tüchtig zu tun; die Arbeit selbst und die Erfolge befriedigen sehr. – Bei uns ist alles wohl. Für Sie und die Ihrigen herzliche Grüße, auch von meiner Frau! Ihr Karl Abraham