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    [Briefkopf III Berlin] 10. VII. 14 Lieber Herr Professor, Unsre letzten Briefe haben sich gekreuzt. Während ich Sie um Auskunft wegen Seis bat, schrieben Sie mir von dem Krankheitsfall in Ihrem Hause. Ich möchte mich in erster Linie nach dem Befinden Ihrer Schwägerin erkundigen; da ich weiß, daß diese bronchopneumonischen Sachen langwierig sind, habe ich mit dieser Frage einige Tage gewartet, hoffe nun aber auf günstige Nachricht. Mir genügt natürlich ein ganz kurzer Bescheid! Sie sind nun gewiß froh, die Arbeit einstellen zu können. Da muß ich Sie nun gerade heute mit einer Angelegenheit bemühen, die mir dringlich ist. Es handelt sich um Reik. Er heiratet am 31. Er hatte Aussicht, in Wien am »Morgen« eingestellt zu werden; daraus ist nichts geworden. Er wollte hier eine kleine Wohnung mieten; nun bekommt er die von einer Verwandten seiner Frau in Aussicht gestellten Möbel nicht. Ich hatte vor, ihm zu seiner Einrichtung behilflich zu sein, und wollte Sie schon um Ihre Beihilfe bitten – nun zieht er vorläufig mit seiner Frau in ein möbliertes Zimmer, sodaß es keinen Sinn hat, ihm etwas zur Einrichtung beizusteuern. – Er lebt äußerst

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    eingeschränkt, d.h. er hat zu Zeiten direkt gehungert , und wollte trotz vielfacher Vorschläge bisher nie Geld nehmen (wobei ein gut Teil Lust am Leiden war); endlich nahm er heute einen kleinen Betrag an. Ich meine, man sollte für ihn etwas tun, um ihn soweit möglich zu sichern und auch der Frau den Zustand erträglich zu machen. Er ist wirklich sehr fleißig und hat hier gut gearbeitet (Couvade und andres). Er vergleicht sich nun, wie ich weiß, mit Rank, dem die Vereinigung so lange geholfen habe. (Ich weiß dies und vieles andre, natürlich höchst subjektiv Gefärbte dadurch, daß ich ihn seit Anfang der Woche analysiere; er befand sich in übelster Depression). Ich denke nun, man könnte folgendes machen. Die Zentrale der Vereinigung wird einen Überschuß von mindestens 400 M. haben. Man könnte auf dem Kongreß beschließen, eine derartige Summe einem jüngeren Mitarbeiter als Anerkennung für seine Arbeiten zu geben. Dann wäre ihm einstweilen geholfen. Aber bis dahin sind noch zwei Monate. Wissen Sie, lieber Herr Professor, Rat? Er ist so sehr empfindlich, aber sicher mir gegenüber mehr als Ihnen. Wenn Sie keine Zeit zum Schreiben haben, beauftragen Sie doch Kollegen Hitschmann, dem Reik sehr anhängt, mir Ihre Ansicht mitzuteilen! Falls Sie Sonntag reisen, begleiten meine besten Wünsche Sie und Ihre Familie. Meine Frau und Kinder sind schon seit Montag fort. – Nach Zürich und München schreibe ich morgen. In Eile herzliche Grüße Ihres Abraham