• S.

    [Briefkopf Wien] 1. 3. 1934a

    Lieber Max

    Ein Brief von Ihnen ist ein seltener Gast geworden; ich beeile mich, ihn zu empfangen.1

    Bürgerkrieg, wie wir ihn durch eine Woche gehabt haben,2 kann natürlich nicht schön sein. Wir haben unmittelbar wenig gelitten, über einen Tag versagte die Elektrizität, aber ... . Nachher kam eine Zeit unbehaglicher Spannung wie in dem Hotelzimmer, nachdem der erste Stiefel gegen die Wand geworfen worden war. Wann fällt der andere? Lästig war auch die notwendige Verteidigung gegen alle dringlichen Vorschläge, Wien sofort zu verlassen gegen St. Cloud, Meran oder Rotterdam. Nun, wir sind geblieben, haben eine Präventivflucht abgelehnt, und jetzt hat es den Anschein, daß wir überhaupt ohne Gefahr werden bleiben können. Ortswechsel in meinen Verhältnissen ist wahrscheinlich ebensoviel Suicid als Rettungsversuch. Erfreulich wird unsere österreichische Zukunft kaum werden, aber auch anderswo ist es alles eher als erfreulich.

    Die Bemühungen, Sie von Palästina fernzuhalten, waren mir sehr überraschend.3 Ich meine, Mirra würde sich in Amerika nicht wohl fühlen, auch wenn es einen Landweg dahin gäbe.4 Einstein scheint zwei seiner Charakterzüge verraten zu haben, daß er keinem einen Gefallen abschlagen kann und daß er sich in alles einmengen muß.

    Es ist richtig, daß ich mich für Wulff in Jerusalem verwendet habe. Vor längerer Zeit schon.5 Ich habe ihm selbst ein Zeugnis gegeben, wahrscheinlich auch an Magnes seinetwegen geschrieben. Aber wenn die senile Amnesie nicht schon übermächtig bei mir geworden ist, so habe ich einen Prof. Baumgardtb weder gesehen noch je gesprochen.6 Mit Magnes hatte ich einen unfreundlichen Briefwechsel, nachdem er mir seine Meinung ausgedrückt, ein Lehrstuhl für Psychoanalyse sei voreilig, ehe einer für Psychologie bestehe. Ich antwortete, das sei eine der gewöhnlichen Ausreden der Akademiker, übrigens würden Sie die Psychoanalyse auch ohne die Hilfe der Universität einführen.7

    Herzlichst

    Ihr Freud

     

    a Der zugehörige Briefumschlag adressiert nach: Grand Hotel, Cap Ferrat, Frankreich.

    b Korrigiert aus: Blumgardt.