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S.
[Briefkopf Wien] 14. 1. 1929
Lieber Max
Ich wundere mich wieder einmal, daß Sie nicht öfter die Feder als Werkzeug und Waffe gebrauchen. Sie verstehen es offenbar, beweglich und wirksam zu schreiben – wie in diesem Ihrem letzten Brief. Ich habe auch genug Schätzung für Ihre Motive, möchte Ihnen nur in einem Punkt widersprechen: Ich bin gewiß nicht mehr derselbe, als der ich früher unter Ihnen allen gestanden bin. Diese Veränderung, die mir so fühlbar ist, wollte ich als Schutz gegen die mir drohende Aufgabe verwenden. Vielleicht kann ich Ihnen etwas Neues zur Erklärung sagen, warum sie mir so unlieb ist, vielleicht wissen Sie es selbst.
Jones hat nämlich in seiner Empfindlichkeit ganz recht. Ich schätze seine Leistung wirklich nicht hoch. Seit seiner ersten, allerersten Arbeit über die Rationalisation1 hat er keinen originellen Gedanken mehr gehabt, und seine Anwendungen meiner Gedanken blieben im Schülerhaften stecken. Er weiß es, daher seine Empfindlichkeit. Ich bin ein Stück von seinem Überich, das mit seinem Ich unzufrieden ist. Er fürchtet, den Ausdruck dieser Unzufriedenheit bei mir zu entdecken, und muß – als Nebenfolge dieser pathologischen Verschiebung – immer dafür sorgen, daß ich Grund zu solcher Unzufriedenheit habe.
Dieses Stückchen Analyse kann ich ihm offenbar nicht als Jubiläumsgabe darbringen. Die Schwierigkeit liegt für mich darin: Ich habe zur diplomatischen Milderung oder Verlogenheit nie viel Talent gehabt, endlich habe ich sie ganz verlernt. Wenn ich nun gezwungen werde, etwas über Jones zu schreiben, so wird meine Bemühung, mein wirkliches Urteil zu verbergen, die Folge haben, daß das, was ich schreibe, höchst gezwungen und für ihn unbefriedigend ausfallen wird. Ich spiele dabei nur die Rolle des durchlässigen Mediums. Die Tatsache, daß es sich um eine Person handelt, die zu klug ist, um ihre Unzulänglichkeit nicht zu merken, und dabei zu ehrgeizig, um sie sich einzugestehen, muß in irgendeiner Wirkung sichtbar werden.
Wenn Sie und Ferenczi mir irgend etwas vorschlagen können, womit sich ein erträgliches Kompromiß herstellen läßt, werde ich mich nicht dagegen sträuben.2
Die Beilage3 fordert eine entschuldigende Erklärung. Ich bekomme häufig Briefe mit solchen Anfragen, auf die ich dann antworte: Ich weiß nicht, wenden Sie sich lieber an das Berliner Institut. Da fiel mir ein, ob das Institut nicht direkt Antwort geben könnte, darum lege ich den letzten Brief dieser Art bei.
Herzlich Ihr Freud
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S.
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