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S.
[Briefkopf Wien] 11. Jan. 1923a
Lieber Max
Mit Hilfe Ihrer Karten habe ich Sie „im Geist“ durch Sizilien begleiten können, habe mich gefreut, daß Sie soviel davon gesehen haben, und mich gekränkt, daß Sie schon nach 14 Tagen zurück sind. Jetzt weiß ich Sie in Rom, kann aber nie ohne Eigenbeziehung an Sie denken und muß errechnen, daß sich heuer das Dezennium abrundet, seitdem ich von Rom Abschied nahm.
Ihre heutige Karte1 zeigt mir, daß Sie auch die allerschönste Straße Europas von Sorrent nach Amalfi befahren haben, und nun will ich nur noch hoffen, daß Sie, so nahe, auch Paestum nicht versäumt haben.
Ihre Glückwünsche zu Neujahr und zu Olis Verlobung2 konnte ich nicht erwidern, nehmen Sie jetzt meinen Dank! Von beiden wissen wir noch zu wenig. Katarrhe und Kopfschmerzen verderben mir das erstere, die französische Besetzung dürfte Olis Pläne gestört haben.3
Eine drückende Sorge bin ich aber in diesem Jahr losgeworden. Ich habe $ 5000 für den Fond bekommen und kann nun den Verlag über die gegenwärtige scharfe Krise hinwegbringen. Kann auch mit herzlichem Dank für Ihre Bereitwilligkeit Ihre versprochene Spende auf unbestimmte Zeit hinausschieben. Das Geld soll von San Francisco kommen, Spender ist [... M. B.], Großhändler in dried fruit, mehrfacher Dollarmillionär, ein lieber Mensch und bekannter Wohltäter, der mich auch durch ein Mehrfaches der gespendeten Summe nicht beleidigt hätte. Immerhin, da ihm die Analyse im Grunde seiner Seele Hekuba ist, bin ich auch so mit ihm zufrieden. Ich habe ihn übrigens in Analyse und versuche, die schwelenden Reste eines verkümmerten Liebeslebens bei dem 51jährigen nochmals zur Flamme anzufachen. Dafür ist nicht viel Aussicht, und so wird es bei der Anzahlung bleiben.
Ein Wort zu meiner Rechtfertigung in der Handhabung der Angelegenheit. Rank weiß natürlich darum und jetzt Sie, aber im Rundbrief gedenke ich es nicht mitzuteilen und auch sonst geheim zu halten. Dies Benehmen durchbricht die Intimität des Komitees, stützt sich aber auf mein Mißtrauen gegen ein bestimmtes Mitglied, das mir dazu viel Anlaß gegeben hat. Mache ich die Spende bekannt, so wird er (J[ones]) sicherlich verlangen, daß wir die so schlecht geführte Press, die uns bis jetzt schon £ 600 gekostet hat, weiter nähren, um für das Opfer die hochmütigen Kritiken und Verdächtigungen der Engländer einzutauschen. Dazu habe ich keine Lust. Auch ist der Betrag – von dem Ranks und meine Vorschüsse abzuziehen sind – nicht groß genug, um mehr als einen Ertrinkenden über Wasser zu halten. Also Diskretion!
Ich schreibe inb freieren Stunden an einer dämonologischen Krankengeschichte aus dem 17. Jahrhundert, die in Mariazell gespielt hat.4
Hoffe, daß Mirra Ihren Ausflug so stark genossen hat wie Sie, und grüße Sie beide herzlich
Ihr Freud
a Der zugehörige Briefumschlag adressiert nach: Roma, Gd Hotel de Russie. Aufschrift von Freuds Hand: Wenn abgereist, nachsenden!
b Korrigiert aus: an.
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S.
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