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S.
[Briefkopf Wien] 1. XII. 1929
Lieber Max
Wir haben Ihre traurige Nachricht gestern1 mit jener Ergriffenheit aufgenommen, die endlich in die Erwägung ausklingt, eine Beschleunigung des Ablaufs sei angesichts der hoffnungslosen Lage nur als Wohltat einzuschätzen. Ich soll Ihnen und den Ihrigen allen unser ernstes Mitgefühl ausdrücken und will keinen Trostversuch unternehmen. Der Verlust der Mutter muß etwas ganz Merkwürdiges, mit anderem Unvergleichbares sein und Erregungen wecken, die schwer zu fassen sind. Ich habe ja selbst noch meine Mutter, und sie sperrt mir den Weg zur ersehnten Ruhe, zum ewigen Nichts; ich könnte es mir gewissermaßen nicht verzeihen, daß ich vor ihr sterben sollte. Sie aber sind jung, haben das eigentlich schönste und inhaltsreichste Jahrzehnt, das von 50 bis 60, noch vor sich, und Ihre Freunde dürfen hoffen, daß Sie sich bald mit einem Unglück aussöhnen werden, das die Geleise des normalen Schicksals nicht überschreitet.
Ich nehme an, daß Ihre Mirra, mit der ich manchmal – Sie wissen es – in Gedanken hadere, auch diesen Anlaß benützt hat, sich in ihrer vollen Leistungsfähigkeit zu zeigen, als Helferin und Trösterin, wie sie es im Ernstfalle immer kann.
Mit herzlichem Gruß und in der Hoffnung, Sie bald wiederzusehen,
Ihr Freud
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S.
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