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S.
[Briefkopf Wien] Semmering
22. 6. 1928
Lieber Max
Eben Ihren Brief erhalten. Ich weiß, die Vorgeschichte der jetzigen Situation ist Ihnen durch Ernst bekannt worden. Eine Veränderung hat sich insofern ergeben, als nicht Schröder, sondern sein Assistent Prof. Ernst1 herkommen wird, mich zu begutachten. Wir erwarten ihn morgen Samstag nachmittag. Er soll seinem Chef durchaus gleichwertig sein. Von seinem Urteil und seinen Versprechungen wird es abhängen, ob und wann die Berliner Reise zustande kommt. Am liebsten würde ich sie nicht aufschieben.
Ich bin im ganzen nicht sehr optimistisch. Gelegentlich, so auch grade jetzt, habe ich Herzschmerzen, die mir eine solche Unternehmung als überflüssigen Aufwand erscheinen lassen. Obwohl ich für meine Gewohnheit wenig rauche und die reichen Vorräte an guten Heistrich2 nicht mehr angegriffen werden. Erneuerung darum nicht notwendig.
Sie werden also bald weiteres hören.
Mrs. Burlingham hat mir eine reizende chinesische Hündin, einen Chow,3 geschenkt, von dem wir viel Vergnügen haben. Mr. B[urlingham]4 ist hier, eine sehr liebenswürdige Person, jetzt ganz normal, etwas erschöpft. Es ist schwer zu glauben, daß er ein Zyklothyme ist, eher hat er eine komplexe Psychose überstanden. Die Situation in der Familie B. ist natürlich voll von unerwünschten Möglichkeiten. Er ist kaum ein Objekt für Analyse.
Ich wünsche Ihnen Glück zur neuen Wohnung und Lebenseinrichtung. Ich hoffe, Sie werden sich darin behaglich finden.
Herzlich für Sie und Mirra
Ihr Freud
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S.
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