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    [Briefkopf Wien] 13. XII. 25.a

    Lieber Max!

    In die Schönheit Ihres klassischen Erdenwinkels schicke ich Ihnen den Bericht über die Besprechung, die wir beide, Anna und ich, vorgestern mit Storfer gehabt haben. Sie fiel harmloser aus, als ich nach Ihrem Brief hätte erwarten sollen, ich weiß aber nicht, ob der Ausgang ganz Ihren Erwartungen entsprechen wird. Die Situation war die folgende: Ich sollte zwischen den beiden Plänen Storfers zur Aufbesserung der Bilanz entscheiden; der eine der Plan, für den Sie sich einsetzten, die Schuld an den Fond Anna zu übertragen, der andere, die Mitglieder durch eine Nachzahlung das Kapital erhöhen zu lassen. Storfer gab aber an, daß er auf Grund seiner Informationen von beiden Plänen zurückgetreten sei, und so hatte ich nichts zu entscheiden. Seine Argumente schienen mir in der Tat nicht übel. Es sind die folgenden: 1. eine Übertragung der Schuld an Anna würde 5 bis 6% Gebühren mit sich bringen und außerdem die Gefahr, daß die Steuerbehörde sich bei ihr erkundigt, woher sie die Mittel für eine solche Einzahlung hat. Das 2. Argument, daß eine Sanierung der Bilanz ohne weiteren Aufwand möglich wird, wenn man bei der Aufstellung der Goldbilanz, welche eine Steueramnestie mit sich bringt, das Lager nach seinem wirklichen Wert anführt, wobei sich dann ein Überschuß von 100.000 Schilling herausstellt. Die Einbringung dieser Goldbilanz eilt nicht, sie kann ohne weiteres verschoben werden, bis Sie zurückkommen;1 was gegenwärtig eilig ist, wäre nur die Übertragung des Freundschen Anteils an Anna, die nur in diesem Jahr noch mit sehr geringen Gebühren erfolgen könnte. Ich habe also zugestimmt, daß die Goldbilanz verschoben und die Übertragung des freigewordenen ungarischen Anteils an Anna – im Werte von 15 Dollar – beschleunigt werde. Ich hoffe, das ganze läuft nicht gegen Ihre Absichten, besonders da auch alle Einzahlungsvorschläge wegfallen. Das einzige, was man fragen und Storfer vorhalten kann, ist, warum er sich die maßgebenden Informationen nicht verschafft hat, ehe er seine beiden Vorschläge machte. Aber das entspricht wohl seiner übereiligen, phantastischen Art. Sollte ich, durch Storfers unvollständige oder unrichtige Angaben irregeleitet, eine unzweckmäßige Entscheidung getroffen haben, so bitte ich Sie mit Rücksicht auf meine geringe Kenntnis der Sachlage um Entschuldigung.

    Die letzte Schwierigkeit mit dem Wechsel Ihres Verwandten2 hat Storfer bekanntlich dadurch begegnet, daß er sich von Ihnen und von Frau Dr. Rank je 5000 Mark geben ließ. Diese will er nun nicht als Einzahlung, sondern als Darlehen betrachtet wissen, die in entsprechender Frist abgezahlt werden sollen.

    Unsere Situation wird von den Nachrichten über Abrahams Krankheit beherrscht, die sehr mangelhaft, unverständlich und keineswegs beruhigend lauten. Ein optimistischer Brief von Sachs scheint durch einen Fieberrückfall überholt. Gestern ist Dr. Felix Deutsch über den Sonntag nach Berlin gereist, und hoffentlich werden seine Nachrichten zur Orientierung beitragen. Ich muß sagen, die Sache sieht mir sehr ungünstig aus, und ich bedauere den Verein und die Gruppe, die jetzt ohne Leitung sind.

    Wir hatten hier eine Woche lang arge Kälte und dabei eine Hausepidemie von allerlei Katarrhen, die noch nicht abgelaufen ist. Die Folgen meiner letzten Kieferoperation sind so gut wie überwunden, aber ich bin durch die neuerlich angefachte Naseneiterung sehr gestört.

    Die hiesigen Analytiker haben bei der ärztlichen Organisation3 um die Bildung einer Gruppe von psychoanalytischen Fachärzten angesucht. Man befürchtete, daß die Organisation bei diesem Anlaß Schwierigkeiten wegen der Laienanalyse machen würde. Aber sie hat nur milde Bedingungen gestellt, und alles scheint glimpflich zu verlaufen.

    Unlängst mußte ich am Abend den Schriftsteller Emil Ludwig4 empfangen. Kein besonderer Eindruck.

    Ich grüße Sie herzlich und hoffe, daß Sie beide das schöne Sizilien intensiv genießen.

    Ihr Freud

     

    a Masch.