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S.
[Briefkopf Wien] 1. XI. 25.a
Lieber Max!
Es wird einem oft schwer, an die wirkliche Reihenfolge der Ereignisse zu glauben. Und doch ist es so. Vor einigen Tagen schrieb ich Ihnen in einer mitteilsamen Stunde einen vertraulichen Brief über Storfer, Verlag und Praxis, und am Tage nachher – nicht umgekehrt – erhielt ich von einer Bank die Aufforderung, die Sie hier beigelegt finden, für einen Kredit des Verlags von 40.000 Schilling als Bürge einzustehen. Ich muß bemerken, die Summe ist nicht so groß, als sie erscheint. Diese 400 Millionen1 schließen 280 Millionen ein, für die ich schon vorher gebürgt habe. Der neue Kredit beträgt bloß 120 Millionen. Die Anglo-Bank übernimmt eben die Schulden des Verlags an eine andere Bank. Aber es ist eine Gelegenheit, sich und andere zu fragen, wie weit man bei solchen Transaktionen mittun soll.
Ich richte diese Frage vor allem an Sie. Sie kennen die Situation des Verlags und haben gewiß ein Urteil darüber, wohin er treibt, ob es wahrscheinlich ist, daß er sich mit solchen Bürgschaften halten kann, oder ob der Bürge darauf gefaßt sein muß, eines Tages zur Abzahlung herangezogen zu werden. Ich brauche Ihnen kaum zu sagen, daß der letztere Fall mir sehr unerwünscht wäre. 40.000 Schilling sind ein zu großer Prozentsatz meines Vermögens. Ich war zwar, wie ich Ihnen verraten habe, bereit, für den Verlag Geldopfer zu bringen, aber nicht zu große. Eigentlich ist ja die Gesamtausgabe2 durchaus gegen meinen Rat unternommen worden, und meine Opferwilligkeit findet einen bescheidenen Ausdruck darin, daß ich seit seinem Bestande alle Autorenhonorare auf dem Papier empfange.3 Ich glaube, ich bin also berechtigt, wenn ich meinen Chancen, am Verlage Geld zu verlieren, eine Grenze setze. Es wäre nicht der erste Fall in der Literatur, daß ein Autor alles, was er erworben hat, an einem Verlagsunternehmen einbüßt; es war so bei Walter Scott, bei Mark Twain u. a., und schließlich bin ich kein Berufsschriftsteller, der das Verlorene dann durch neue Phantasietätigkeit hereinbringt. Sie sehen also, wie wichtig mir Ihr Gutachten und Rat werden wird. Ich glaube, ich werde das tun, was Sie für zweckmäßig erklären.
Natürlich weiß ich nicht, was Storfer tun wird, wenn ich die Garantie ablehne. In erster Linie wird es Ihnen zufallen, ihm die weiteren Ratschläge zu geben. Ich kenne natürlich die Umstände, welche die Kreditunwürdigkeit des Verlags bedingen, die Höhe der Schulden an den Fond und an meine Person. Ich möchte Sie auch fragen, ob man die Situation dadurch verbessern kann, daß man auf diese Forderungen verzichtet.
Verzeihen Sie von neuem, wenn Ihre Ruhe von uns nicht respektiert wird. Aber die Personen, die etwas leisten können, sind selten, und die Forderungen des Lebens kennen keine Unterbrechung. Wir Ärzte sind alle darauf vorbereitet, daß man auch am Sonntag nachmittag zu einem Kranken gerufen werden kann. Hoffentlich verdeckt dieses Wölkchen nicht ganz die Bläue Ihres italienischen Himmels. Ich denke, daß Sie beide sich jetzt sehr wohl befinden müssen. Seien Sie herzlich gegrüßt, und schicken Sie mir mit Ihrer Antwort auch die Beilage zurück.
Ihr Freud
a Masch.; Eilbrief.
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S.
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