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[Briefkopf Wien] Semmering, 27. VIII. 24.a
Lieber Max,
Die Sache wird akut.1 Gestern habe ich den Brief von Rank bekommen, der hier in Abschrift beiliegt.2 Vor ganzb kurzer Zeit hätte ich einen solchen Brief noch für unmöglich gehalten. Er bedeutet, daß wir uns auf das Ärgste vorbereiten müssen.
Das will nicht heißen, daß ich Ihren Versuch einer Vermittlung ablehne. Ich rechne vielmehr darauf, aber ich glaube, es ist gut, wenn wir uns vorher bereitmachen, was zu tun ist, im Falle sich bei ihm nichts ändert. Ich brauche jetzt Ihren Rat in zwei Fragen.
Erstens: ich habe eine Antwort verfaßt, die ich Ihnen im Original übersende.3 Es ist mir nicht eilig mit der Abschickung. Aber ehe ich es überhaupt tue, möchte ich wissen, ob Sie dafür sind, daß ich eine Antwort gebe. Vielleicht wirkt jede Äußerung von mir weiter zersetzend und beschleunigend, oder Sie halten meine Antwort, wie Sie sie lesen, nicht für die richtige. Also bitte, äußern Sie sich darüber, und schicken Sie mir mein Original zurück.
Zweitens: Wenn Rank sich wirklich von allem zurückzieht,4 müssen wir an seinen Ersatz denken. Ich schreibe gleichzeitig an Ferenczi und frage bei ihm [an], ob er noch vor seiner erhofften Übersiedlung5 die Last der Redaktion6 auf sich nehmen will. Anna könnte ihm als offizielle Sekretärin zur Seite stehen, und ich würde ihr natürlich in der freien Zeit, auf die ich rechne, allseitig beistehen. Was meinen Sie dazu? Eine weitere Schwierigkeit, in der ich aber ratlos bin, folgt aus meiner Unfähigkeit, die Leitung der Gruppe beizubehalten.7 Da ich nur nach einer Seite höre und abends deutlich müde bin, kann ich die Vereinssitzungen nicht mehr abhalten. Ist es nun möglich, Rank bei solcher Einstellung mit der Vereinsleitung zu betrauen, und wird er, wenn er in solcher Verfassung nach Wien kommt, überhaupt darauf eingehen? Es ist da schwer zu helfen. Ein Auskunftsmittel wäre, einen der älteren Ärzte, es käme wohl am ehesten Federn in Betracht, mit der Aufgabe zu betrauen.8 Ich täusche mich nicht darüber, daß damit das ungünstige Schicksal der Gruppe besiegelt ist, wenn nicht sehr bald Ferenczi zum Ersatz heranrückt.
Im Verlag wäre nichts anderes zu tun, als Storfer zum vollen Leiter zu ernennen und ihn durch ein entsprechendes Honorar zu binden. Die zwei Reichen der Gesellschaft, Sie und ich – verzeihen Sie die Zusammenstellung –, müßten dazu auch in ihre Tasche greifen.
Abraham dürfte vom Inhalt dieses Briefes natürlich nichts erfahren. Die Äußerungen sind zu garstig.9 Es ist ein Ton von Bosheit und Feindseligkeit darin, der mich am guten Ausgang zweifeln läßt. Vielleicht finden Sie, daß ich zu scharf bin. Aber wer hätte das von Rank gedacht! Die „Erlöserrolle“, die er in Anspruch nimmt,10 deutet auf einen starken pathologischen Einschlag.
Es tut mir leid, Sie in Berlin mit solchen Anforderungen zu empfangen. Aber ich bedarf jetzt dringend Ihrer Äußerungen. Wann Rank zurückkommt, kann ich Ihnen nicht sagen, ich werde bei seiner Frau anfragen lassen.
Mit herzlichen Grüßen für Sie und Mirra
Ihr Freud11
a Masch.; Einschreiben.
b Original: ganzer.
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Berlin 10787
Deutschland
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