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    [Briefkopf Wien] Villa Schüler

    18. 6. 26

    Lieber Max

    Anstatt Ihr Begrüßungstelegramm1 mit einem ebensolchen Dank zu beantworten, will ich Ihnen schreiben. Wir sind gestern hier angekommen, bereits heute in höchster Behaglichkeit, göttlicher Ruhe in frischem Grün, bei feuchtem Wetter. Finken und Amseln singen vor den Fenstern. Ich werde wenigstens drei Wochen überhaupt nichts zu tun haben und dann nur sehr wenig, weiß kaum, was ich mit dieser Freiheit anfangen werde. Anna hat es leichter, ihre Kinder2 sind in die nächstliegende Villa eingezogen, sie setzt gleich heute ihre Behandlungen fort. Schmutzer hat ihr die Zeichnung3 geschickt, die unvergleichlich besser ist als die Radierung.

    Die Vollmacht habe ich noch in Wien unterschrieben.

    Der Wolfsmann war bei mir, um sich den Ertrag der Sammlung, die ich alljährlich für ihn veranstalte, abzuholen. Ich habe die letzten Auskünfte, die ich brauchte, von ihm bekommen. Er ist im Januar oder Februar 1910 bei mir eingetreten. Erst jetzt auf die Bilderwand aufmerksam gemacht, sagte er sofort, sie sei ihm etwas Neues, zu seiner Zeit hätten da nur zwei oder drei Photographien gehangen. Ranks Frau hat mich zum Abschied besucht. Sie teilt ganz unseren Standpunkt, ist sehr unglücklich über das Buch, dessen Korrekturen sie nicht lesen wollte. Sie meint, er lege es darauf an, „weggeschickt“ zu werden, er vertrage auch von ihr keinen Einwand, lasse sich nie zurückhalten, wenn ein Einfall über ihn kommt. Die arme Frau, die bei ihm aushalten möchte – aber es schwer zusammenbringt –, soll unserer Diskretion sicher sein. Es scheint mir sehr zweifelhaft, wie diese Ehe ausgeht. Die letzte Beziehung Ranks zu uns ist die der Teilnehmerschaft am Verlag, sie sollte auch in sanfter Weise gelöst werden.

    Ferenczi hat noch nicht mitgeteilt, wozu er sich entschlossen. Ich meine, er wird Amerika nicht aufgeben wollen.4 Ob ihm die Reise Vorteile bringen wird?

    Ich darf annehmen, daß Sie von Wien nach Franzensbad fahren werden, um sich von Mirras andauerndem Wohlbefinden zu überzeugen.

    Ich grüße Sie herzlich

    Ihr Freud