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    [Briefkopf Wien] 9. 5. 1932

    Lieber Max

    Ich habe den kritischen Tag wirklich programmäßig verbracht und darum ohne Schaden überstanden. In anderer Hinsicht fügte er sich nicht meiner Erwartung. Die Häufung von Orchideen (und Rosen!) war nicht geringer als bei früheren Anlässen, der zur Besinnung drängende Einfluß der materiellen Krise kam nicht zum Ausdruck. Vielleicht dachte man: nur diesmal noch, wahrscheinlich das letzte Mal. Gestern, Sonntag, verbrachte ich den Tag auf dem „Landgut“ Annas und ihrer Freundin.1

    Ihren Einspruch gegen die Abziehung der Zeitschriftredaktion von Berlin hätten Sie mir früher mitteilen sollen. Ich habe Sie von jedem meiner Schritte hier unterrichtet, weil ich im Einvernehmen mit Ihnen bleiben wollte, und Sie haben mich im Glauben gelassen, daß Sie nichts dagegen haben; sonst hätten Sie sich ja im abmahnenden Sinn geäußert. Jetzt bin ich mit den Verhandlungen so weit, daß ich kaum zurück kann.

    Ihr anderes Argument gegen die Änderung hat mich weniger berührt, denn erstens ist Hartmann nicht der einzige, sondern der Gehilfe von Federn, und zweitens wird er mir als Mann von ernster und unerschütterlicher Überzeugung geschildert, der bereit ist, alle anderen Interessen gegen die analytischen zurückzustellen. Drittens ist vorgesehen, daß Radó nach seiner Rückkehr, wenn er es wünscht, in die Redaktion eintritt. Fenichel hat durch seine Gefügigkeit gegen den gefährlichen Narren Reich jeden Wert bei mir verloren, Einfluß auf ihn zu nehmen, traue ich mir nicht zu.

    In der amerikanischen Sache widerspreche ich Ihnen aber nicht weiter. Auch ich wünsche, daß Brill in seiner Organisationsarbeit sein Ziel erreicht. Die Idee, ihm als drittem Vizepräsidenten dauernden Einfluß zu sichern, finde ich ausgezeichnet. Es kann auch die Vorbereitung einer späteren Präsidentschaft werden.

    Sie wissen also schon, daß Sachs der nach Boston Berufene ist. Diese Apostelreisen2 sind ein gutes Zeichen für die Entwicklung der Analyse, werden aber die unvermeidliche Folge haben, daß der Besuch der Amerikaner bei unseren Instituten sich verläuft, mit all den dazu gehörigen Folgen.

    An diesem Samstag (14.) wollen wir übersiedeln. Das Wetter ist kalt und regnerisch.

    In der Erwartung, daß Sie vom Tempo Ihrer Herstellung die besten Nachrichten geben werden,

    herzlich Ihr Freud