• S.

    [Briefkopf Wien] 3. X. 26

    Lieber Max

    Mit unheimlicher Raschheit haben Sie Ihre Drohung wahr gemacht und mir die Dostojewski-Briefe1 geschickt. Ich gebrauche hier Worte, die man sonst nicht auf ein liebes Geschenk anwendet, weil hinter diesem die Aufforderung steht, den Aufsatz über D[ostojewski]2 fertig zu machen, dessen erste Anfänge Sie gelesen haben. Mit der Übersiedlung in die Stadt hat sich aber das Gesicht der Gegenwart geändert. Ich bin offenbar noch nicht akklimatisiert, denn ich hatte hier noch keine gute Stunde, wohl aber jeden Tag ein anderes Leiden, und der Tausch der absoluten Freiheit gegen fünf feste Analysenstunden, und was immer noch an Empfängen und Konsultationen dazukommt, hilft auch gerade nicht zur produktiven Konzentrierung. So ist mir die D[ostojewski]-Arbeit plötzlich in die Ferne gerückt, und ich weiß noch nicht, wann ich sie einholen werde. Ich muß erst heraussuchen, was ich noch zu lesen habe, dann es mir verschaffen, dann es lesen; keine Möglichkeit, daß die Sache fürs I. Heft der ‚Imago‘ fertig wird. Es wird eine protrahierte Geburt werden, und die Ranksche Terminsetzung3 wird auch hier scheitern müssen. Zum Dank für Ihr Geschenk wollte ich Ihnen das mitteilen.

    Herzlich

    Ihr Freud