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S.
[Briefkopf Wien] XVIII Khevenhüllerg. 6a
13. 7. 1931
Lieber Max
Ich danke Ihnen sehr für Ihre Vorräte. Im Ärger über nicht weichendes Mißbehagen sündige ich wieder mehr und war schon recht knapp. Es ist wahrscheinlich, daß in etwa einer Woche der Techniker meines braven Zahnarztes1 nach B[erlin] fahren wird, um die Prothese dort vulkanisieren zu lassen. Der könnte sich auch bei Ihnen vorstellen.
Martin sagt, daß Storfer ihn gut aufgenommen und loyal behandelt hat. Er braucht Zeit, um sich ein Urteil zu bilden. Wenn er es zu haben glaubt, wird er Ihnen selbst schreiben. In der Sache mit Radó habe ich heute schriftlich bei St. „interveniert“. Es ist mißlich, man hat Autorität, solange man sie nicht in Anspruch nimmt.
Unlängst habe ich Muße gehabt, eine Haßliste anzulegen. Nicht viel, im ganzen 7-8 Namen. Darunter habe ich den Th. Lessing aufgenommen, der mir ein ekliges Büchlein zugeschickt: ‚Jüdischer Selbsthaß‘, gewidmet „in Verehrung von seinem Gegner“.2 Sie kennen ihn gewiß, er ist ein typischer Krakeeler.
Hier ist es noch immer sehr schön, mitunter heiß, aber weniger als in der Stadt.
Die Gardenien sind entzückend, aber es ist zu schmerzlich, wenn sie so bald vergilben.
Herzlich für Sie und Mirra
Ihr Freud
a MS: XVIII Khvh 6, über das durchgestrichene „[Wien] IX., Berggasse 19“ des gedruckten Briefkopfes geschrieben.
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S.
Altensteinstraße 26
Berlin 14195
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