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    [Briefkopf Wien] 3. XI. 1930

    Lieber Max

    Ihr heute empfangener Brief trifft mit meiner Absicht, Ihnen selbst Nachricht zu geben, zusammen. Ich habe gestern die Spuren der Krankenexistenz verwischt, war schon Freitag zuerst auf der Straße und habe meine bescheidene Arbeit begonnen. Daß ich nicht durch diese überstandene kleine Pneumonie kräftiger geworden bin, nicht wie ein Kind von dieser Rekonvaleszenz einen neuen Entwicklungsschub datieren kann, ist ja nicht verwunderlich.

    Von Ferenczi weiß ich auch nichts Näheres. Es ist möglich, daß er von meiner Krankheit überhaupt nichts erfahren hat. Trotz aller unserer Bemühungen gerät er immer mehr in die Isolierung. Irgendein Termin ist bei ihm versäumt worden.

    Auf Storfer Einfluß zu nehmen, habe ich zunächst wenig Gelegenheit und Aussicht. Ich las sein letztes Exposé für Sie und bekam den Eindruck, daß Sie Hoffnungen für eine nicht ferne Zukunft in ihm geweckt haben, die nicht leicht zu begründen sind. Der Goethepreis scheint eine besonders schwere Zeit für uns einzuleiten.

    Wann immer Sie uns besuchen können – vorausgesetzt, daß ich aufrecht bleibe –, werden Sie willkommen sein.

    Mit herzlichem Gruß für Mirra

    Ihr Freud