-
S.
[Briefkopf Wien] 7. 1. 13
Lieber Herr Doktor
Wenn es noch nicht verspätet ist, für einen Neujahrswunsch zu danken, so tue ich es jetzt an Sie und Ihre mir bloß durch Ihre Wahl sympathische Verlobte. Ich kann die Wünsche heuer gut brauchen, denn alle bösen Geister sind gegen mich losgelassen, aber ich kenne sie schon seit vielen Jahren und fürchte mich vor ihnen wenig. Endlich ist mir die Gesinnung hinter den Wünschen das Wertvolle, und deren bin ich ja bei Ihnen sicher. Sie waren der erste Bote, der bei dem Einsamen erschien, und wenn ich wieder verlassen sein sollte, werden Sie gewiß zu den letzten gehören, die bei mir ausharren.
Bei Frau Dr. Nacht genieße ich wenigstens die Genugtuung, meine Prognose bestätigt zu finden, daß so große Besserung in so kurzer Zeit erworben nicht haltbar ist. Ein Ehrenzeugnis für die Analyse, daß sie deren Fortsetzung vermeidet.
Ich arbeite rüstig weiter für den Beifall der wenigen, die mich verstehen wollen. Wenn Sie hören, daß ich alt, schwach und neurotisch geworden bin,1 so glauben Sie es nicht, und überzeugen Sie sich wieder einmal (mit Ihrer Braut oder Frau) vom Gegenteil.
Mit herzlichen Wünschen für 1913
Ihr getreuer
Freud
-
S.
Berggasse 19
WIen 1090
Austria
Güntzelstraße 2
Berlin 10717
Germany
C22F3