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    [Briefkopf Wien] 2. XII. 1927.a

    Lieber Max!

    Ich begrüße Sie und Mirra auf der interessanten Insel,1 leider nicht persönlich, und hoffe, daß alle Ihre Wettererwartungen sich dort erfüllen werden. Mein heutiges Schreiben hat noch einen anderen interessanten Anlaß. Ich erhielt vor einigen Tagen zwei Briefe von Storfer, der eine enthielt als Einschluß einen Scheck von 1400 Schilling als Honorar für die ‚Illusion‘ und stellte also das erste Honorar vor, das ich seit der Gründung des Verlags von ihm bekommen habe. Es erschien mir so unwirklich, daß ich es auch sofort in eine alt-attische Vase umsetzte. Nebenbei fiel auch noch etwas ab für ein Terrakottaköpfchen, das ich unserer Freundin Yvette Guilbert2 zum Abschied nach Berlin mitgab. Ich hatte alle ihre drei Vorstellungen auf einem von ihr geschenkten Sitz in der ersten Reihe mitgemacht und es ganz außerordentlich genossen. Sie ist auch persönlich ein reizender, einfacher, ernsthafter guter Mensch.

    Der zweite Brief war die Abschrift des an Sie gerichteten, in dem Storfer eine Gehaltaufbesserung um 100 Dollars vom 1. November an verlangt. Ich äußere mich dazu unaufgefordert, weil ich fürchte, daß Sie ihm zu hart begegnen werden, wo wir doch gesehen haben, daß wir ihn nicht so leicht ersetzen können. Seine Begründung, daß er in Schulden steckt, mit der ‚Zeitschrift für psychoanalytische Pädagogik‘3 mehr übernommen hat, als er leisten kann, und sich in seiner Erbschaft enttäuscht gefunden hat, ist recht plausibel. Sie zeigt uns nur, daß er seine eigenen materiellen Angelegenheiten nicht sorgfältiger betreibt als die des Verlags. Doch meine ich, wir sollen angesichts der besseren finanziellen Situation ihn nicht abweisen, eventuell kann man ihn ersuchen, diese 100 Dollars monatlich bei der Reklame zu ersparen. Vielleicht wäre es auch ein anderer gangbarer Weg, ihmb anstatt der Gehaltsteigerung die Übernahme der pädagogischen Zeitschrift in unser Eigentum anzubieten. Ich glaube, das werden wir über kurz oder lang doch tun müssen. Das sind also meine Vorschläge, die Entscheidungen liegen ja bei Ihnen.

    Sonst ist zu den Neuigkeiten des letzten Rundbriefes4 nicht viel hinzuzufügen. Ich habe den Eindruck, daß meine Prothese jetzt leistungsfähiger wird, sicherlich macht sie mir nicht mehr so viel zu schaffen. Ihr Doktor [U.] entwickelt sich prächtig, zeigt großes Verständnis für seine abgelaufenen Psychosen, beginnt wieder zu arbeiten und wird auch theoretisch sehr interessant. Ich muß natürlich bremsen, auf daß wir nicht zu rasch intim miteinander werden. Immerhin mußte ich schon zwei Schachteln Zigarren von ihm annehmen. Aber es gelang mir, ihm eine davon als im Format für meine Mundöffnung ungeeignet zurückzugeben. Er ist ein neuer Beweis dafür, wie recht wir mit allen unseren analytischen Behauptungen haben und wieviel uns noch zu lernen übrig bleibt.

    Da Sie einmal in der Napoleonstadt sind, kann ich auch assoziativ auf unsere Prinzessin übergleiten. Sie hat vorgestern eine selbständige Arbeit über die Symbolik der Hörner5 im Verein vorgetragen und allgemeinste Anerkennung gefunden. Es war wirklich sehr gut. Ich war natürlich nicht dabei. In vierzehn Tagen geht sie nach Paris zurück, wo ihre Leonardoübersetzung nach allen Berichten einen ganz netten literarischen Skandal hervorgerufen hat. Alle ihre Freunde schreiben ihr, wahrscheinlich auf Betreiben des unglücklichen Prinzen,6 Brandbriefe, in denen sie beschworen wird, die Psychoanalyse zu verlassen und auf den Weg der Tugend – wie man sie in Paris versteht – zurückzukehren. Das gibt ihr Gelegenheit, ein Stückchen ihrer früheren Lebensgeschichte in der gegenwärtigen Analyse von neuem durchzumachen.

    Mit vielen herzlichen Grüßen für Sie beide,

    Ihr Freud

     

    a Masch.; der zugehörige Briefumschlag adressiert nach: Ajaccio, Korsika, Hotel Continental, France.

    b Original: ihn.