PROF. DR. FREUD

WIEN, IX. BERGGASSE 19.

  • S.

     

    [Briefkopf Wien] 11. X. 1927

    Lieber Max

    Die Anschwellung dieses Briefes ist der Einlage von Jones1 zu danken, die ich Ihnen zur Lektüre übersende. Was er mir vorsetzt, sind zwar meist faule Fische, aber im ganzen bin ich mit der Wirkung, die mein Böswerden erzielt hat, zufrieden. Ich werde in der Art fortfahren. Auch von Mrs. Riviere erhielt ich einen, für ihre Verhältnisse reuigen, Brief.2 Die eine Beschwerde, daß die ‚Zeitschrift‘ Frau Klein zu boykottieren scheint,3 sollte von Radó weggeräumt werden.

    Ich erhielt vor einigen Tagen die zweite Rate von Sweetser, die ich nach dem Schlüssel (2 : 3) nun für das Wiener Institut bestimme.4 Die dritte, für den Verlag, ist am 1. Dez. fällig. Sonstige Aussichten sind nicht bekannt geworden. Die Nachricht von meinen $ 100.000 hat wirklich einige Leute gefoppt. Ich erhielt soviel Bettelbriefe aus den entlegensten Gegenden Deutschlands, daß icha endlich Ernst bat, eine ihm beliebige Berliner Zeitung mit einem Dementi zu beehren.5 In Wien habe ich es schon vor Wochen besorgt.6

    Herrn Valyi habe ich empfangen, weil Sie es wünschten und nur darum, habe es aber später nicht bereut. Er scheint in der Tat interessant und ernsthaft, etwas an ihm ist undurchsichtig.

    Meine ‚Illusion‘ hat einen neuen Abschnitt als Abschluß bekommen,7 eher skeptisch und versöhnlich als eindeutig enthusiastischb; man darf in solcher Materie doch nicht zu entschieden sein. Alle Fahnen liegen bereits vor, ich habe sie noch nicht angesehen, bei mir etwas Seltenes. Es hängt damit zusammen, daß ich mein Rauchen seit einigen Tagen außerordentlich eingeschränkt habe. Natürlich nicht ohne Muß. Es stellt sich noch kein rechtes Bedürfnis ein, die Abstinenz geht zu leicht, das ist bös, und dabei kann ich auch keine anderen Interessen entwickeln. „Nous ne quittons jamais nos vices, ce sont nos vices qui nous quittent.“8 Wie ist das wahr! Lieber Gott, wenn Du zu etwas gut bist, gib mir mein Laster wieder!

    Pichler macht jetzt etwas in meinem Mund, was endlich wirklich zu helfen verspricht. Aber die Versuche nehmen mich sehr her, und ich vermisse die Mittagsruhe, an die ich mich auf dem Semmering gewöhnt hatte. Kurz, es ist nicht zu bezweifeln, daß man alt, müde und grantig wird, aber man muß Gesundheit und Jugendfrische agieren. Es gehört dazu.

    Anna ist weniger beschäftigt und geht ganz in der Freundschaft auf. Dorothy hatte heute Geburtstag, was auch Ihnen nicht unbekannt geblieben ist.9

    Herzlichen Gruß, lieber Max, und ebendasselbe für Mirra

    vom alten Papa

    Freud

     

    a Gestrichen: wirk.

    b Reihenfolge der beiden letzten Worte durch Korrekturzeichen umgekehrt.